Abschiebeauftrag für Peter M.: Auf seinen höchst aussichtsreichen Bleibeantrag nahmen Fremdenpolizei und Ministerium keine Rücksicht.

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Wien - Dass der 29-jährige Nigerianer Peter M. (Name geändert) vergangenen Mittwoch nicht abgeschoben wurde, hat er der Geistesgegenwart von Rathausbeamtinnen zu verdanken - und deren Anbindung an soziale Medien. "Hätte meine Mitarbeiterin nicht auf Twitter gelesen, dass M. in derselben Nacht per Frontex-Flug nach Lagos gebracht werden sollte, wäre er jetzt dort, seine Lebensgefährtin samt Baby hier", sagt Beatrix Hornschall, Chefin der Wiener Ausländerbehörde MA 35.

Denn weder die Fremdenpolizei noch das Innenministerium hatten die Wiener Behörde von der geplanten Abschiebung informiert. Auch, dass Peter M.s Antrag auf humanitären Aufenthalt bei der MA 35 zu diesem Zeitpunkt bereits spruchreif war, verhinderte nichts: Wer laut Aufenthaltsgesetz um "Bleiberecht" ansucht, kann laut Fremdenpolizeigesetz trotzdem außer Landes geschafft werden.

"Wir haben dann in nur vier Stunden ein Aufenthaltskarten-Provisorium ausgestellt. So konnten wir Herrn M. nach Kontaktaufnahme mit dem Ministerium vom Flughafen zurückholen. Zu diesem Zeitpunkt stand er mit anderen Abzuschiebenden schon einsteigebereit in der Abflughalle", schildert die MA-35-Leiterin.

Skandal in vielen Fällen

Hornschall spricht von einem Skandal: "Mit einem geordneten Rechtsstaat hat das, was da geschah, nichts zu tun." Und zwar auch über den aktuellen Einzelfall hinaus, in dem es nur um Haaresbreite gelang, einen Mann mit Deutschkenntnissen auf Fremdsprachenmaturaniveau, fixer Jobzusage und Sorgepflichten für ein zehnmonatiges Kind vor der EU-weit koordinierten Frontex-Verschickung zu retten.

Vielmehr seien alljährlich hunderte Ausländer von diesem "Parallellaufen zweier Gesetze" betroffen. Den meisten sei völlig unverständlich, warum ihnen der Zwangsabflug drohe, obwohl sie im Bleibeverfahren ihre Integrationsbereitschaft dokumentiert hätten - und dieses Verfahren noch nicht beendet sei.

Hornschalls "dringende Empfehlung": "In Fällen, in denen ein humanitärer Aufenthaltsantrag läuft, soll die Fremdenpolizei verpflichtet werden, mit den Ausländerbehörden Kontakt aufzunehmen, wenn eine Abschiebung droht." Im Ministerium sieht man dazu keinen Grund: Kontakt gebe es "nur dort, wo es erforderlich ist", meint eine Sprecherin. (Irene Brickner, DER STANDARD, 20.9.2012)