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"Behavioural Advertising" wird als ganz großer Erfolg gefeiert. Werbeagenturen argumentieren mit unglaublichen Zahlen: Die Click-Through-Raten (CTR) auf Werbebotschaften sollen durch behavioral targeting um bis zu 670 Prozent verbessert sein. Action through rates (ATR) sollen angeblich doppelt so hoch sein wie bei der guten alten Standardwerbung. Es gibt sogar 20 bis 30 Prozent der Kunden, die die direkte auf sie zugeschnittene Werbung besonders ansprechend finden.

"Öl der Digitalökonomie"

Aber ich glaube, dass dieser Hype mit einem ganz großen Fragezeichen zu versehen ist: "Behavioural Advertising" lebt von der konstanten Verfolgung der Internetnutzer. Und diese nimmt dieser Tage solche Ausmaße an, dass jeder normal fühlende Mensch einigermaßen erschreckt sein dürfte. Ein durchschnittlicher Besuch einer Webseite wird durchschnittlich von sage und schreibe 56 (!) Instanzen mitverfolgt. Große Werbenetze beschreiben jeden einzelnen Surfer heute mit rund 500 Eigenschaften zu seiner oder ihrer Person. In Brüsseler Kreisen wird im Hinblick auf persönliche Daten vom "Öl der Digitalökonomie" gesprochen. Sind wir hier im Wilden Westen angekommen? Was passiert, wenn das die Leute, denen diese Informationen eigentlich gehören, spitz kriegen?

"Creepiness"-Faktor

Immer mehr Forschungsarbeiten, die von Wissenschaftlern durchgeführt werden (und nicht von Werbeagenturen!) belegen in letzter Zeit eine sogenannte "Reaktanz" auf Werbung. Leute fühlen sich bedrängt. Insbesondere wenn die Werbung persönlich anspricht und zugleich in Form von 'reichen' Werbeformaten zugestellt wird, sinkt die Kaufintention signifikant ab, wie ein kürzlich in Marketing Science erschienenes Papier aufzeigt. Ein "Creepiness"-Faktor wird beobachtet. Meine eigenen Studien mit Alessandro Acquisti zeigen, dass die Bereitschaft, für eine Marke zu zahlen um dreißig Prozent sinkt, wenn diese Marke zuvor als "Unterbrecher" wahrgenommen wurde. Und diese Fakten sind nur ein Ausschnitt, der belegt, dass sich die Werbebranche auf die Dauer nach Alternativen umschauen sollte.

Zahlen für Suchdienstleistungen

Gemeinsam mit Alexander Novotny habe ich dazu in Alpbach bei den Technologiegesprächen und diese Woche beim Austrian Internet Summit einen Sieben-Punkte Plan vorgestellt, wie Datenmärkte neu organisiert werden könnten. Eine zentrale Forderung ist die nach eigentumsähnlichen Rechten an persönlichen Daten. Wenn Firmen beispielsweise zu Werbezwecken unsere Daten einsammeln, so sollte dies in transparenter Weise geschehen und es sollte den Unternehmen klar sein, dass es sich hier um das Eigentum von Leuten handelt, für das sie entweder Lizenzgebühren zahlen oder es ansonsten zu löschen haben. Datensammlung sollte auch grundsätzlich entkoppelt sein von scheinbaren 'Umsonst-Dienstleistungen'.

Ich persönlich zahle Google für Suchdienstleistungen lieber 12 Euro im Jahr und weiß, dass meine Suchdaten dann alle sofort gelöscht werden und ich keine Werbung mehr eingeblendet bekomme. Andere Leute mögen lieber 12 Euro sparen und dafür ihre Daten und Aufmerksamkeit Google zur Verfügung stellen. Das soll ruhig jeder selbst entscheiden! Aber die Wahl sollte einem grundsätzlich immer und in transparenter Form gegeben werden. Außerdem schlagen wir vor, dass immer nur EINE Partei im Netz mitlesen darf und nicht 56. Alle Daten, an denen Firmen keine Rechte besitzen, dürfen sie auch nicht verwenden, es sei denn wenn sie sie hinreichend anonymisieren. In letzterem Fall sollte dem Datenreichtum keine Grenze gesetzt sein. ... Kann man solche Ideen gesetzlich stützen?

Sicherlich werden viele unseren 7-Punkte-Plan als utopisch belächeln. Aber wieso eigentlich nicht? Utopie ist doch bekannterweise die Mutter des Fortschritts. (Sarah Spiekermann, derStandard.at, 20.9.2012)