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Offiziell wird erst am Sonntag das Parlament in Weißrussland gewählt, doch mehr als sieben Prozent der Wähler, speziell Angehörige der Streitkräfte und staatliche Bedienstete, haben schon abgestimmt.

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Alexander Milinkewitsch (65) war Einheitskandidat der weißrussischen Opposition bei der Präsidentenwahl 2006, wo es wegen Manipulationen zu ersten Protesten gegen Staatschef Lukaschenko kam. Milinkewitsch ist Doktor der Physik und war vor seiner Politkarriere als Lehrer und Universitätsdozent tätig.

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STANDARD: Zu den Parlamentswahlen am 23. Oktober wurden Sie nicht zugelassen. Warum?

Milinkewitsch: Präsident Alexander Lukaschenko kontrolliert nach wie vor völlig allein die Wahlen. Ob die Opposition zugelassen wird, hängt nicht vom Gesetz ab, weil unsere Wahlen weder gerecht noch fair sind. Es geht allein danach, was die Obrigkeit für zweckmäßig hält. Derzeit hält sie es nicht für zweckmäßig, die Opposition ins Parlament zu lassen, obwohl dieses wenig zu sagen hat. Sie beansprucht die absolute Kontrolle über die Gesellschaft. Die Obrigkeit hat Angst vor einem unabhängigen Parlament.

STANDARD: Einige Oppositionelle wurden aber zugelassen. Wie schätzen Sie deren Chancen ein?

Milinkewitsch: Die Obrigkeit hat vor allem die Politiker zugelassen, die ihre Kandidatur vor den Wahlen zurücknehmen. Diese Politiker führen zwar eine Wahlkampagne, wollen aber die Wahl selbst boykottieren. Wer allerdings bereit ist, bis zum Ende zu gehen, der wird nicht registriert.

STANDARD: Wie soll sich die Opposition weiter verhalten?

Milinkewitsch: Einige fordern den Boykott der unfairen Wahlen. Das ist prinzipienfest, aber unergiebig. Wir müssen der Gesellschaft nicht beweisen, dass Lukaschenko ein Diktator ist. Die Bürger fragen aber auch: "Wird das Leben unter euch Demokraten besser?" Daher ist es wichtig, bei den Wahlen eine positive Alternative aufzuzeigen und Reformen anzubieten.

STANDARD: Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung?

Milinkewitsch: Ich habe an hunderten Demos teilgenommen, mich mit tausenden Leuten getroffen. Und alle sagen: "Wir glauben weder an Lukaschenko noch an die Opposition." Es ist wichtig, dass wir die Stimmung im Volk heben, denn die Gesellschaft ist in eine tiefe Depression verfallen.

STANDARD: Wann hat diese Depression begonnen?

Milinkewitsch: Sie herrscht schon lange. Wir haben eine Diktatur, und die Mehrheit der Menschen begreift das. Einige sagen, wir brauchen eine Diktatur. Die können wir nicht überzeugen. Es gibt aber auch Menschen, die demokratisch denken, aber die derzeitige Opposition nicht als alternative Kraft ansehen, die einen Platz im Machtgefüge einnehmen kann.

STANDARD: Hat das auch mit der Präsidentenwahl 2010 zu tun?

Milinkewitsch: Die Opposition hat zwar 30.000 Menschen auf die Straße gebracht, konnte sich aber bei der Wahl nicht auf einen Einheitskandidaten festlegen. Das ist schlecht, denn die Menschen haben gesagt: "Wenn Ihr euch jetzt schon nicht einigen könnt, dann könnt ihr es auch nicht, wenn Ihr an der Macht seid." Die Opposition muss ein einheitliches Bild abgeben, und sie braucht einen Anführer. Das ist sehr wichtig, damit die Weißrussen daran glauben, dass sie ihr Schicksal verändern können. Das Bewusstsein, dass das Land Veränderungen braucht, ist da.

STANDARD: Wird es nach der Wahl wieder zu Protesten kommen?

Milinkewitsch: Ich denke, dass es keine Demos geben wird. Die Weißrussen sind Pragmatiker und wissen, dass das Parlament Dekoration ist. Die Gesetze werden von der Präsidialadministration erlassen. Im vergangenen Jahr hat das weißrussische Parlament nur ein Gesetz verabschiedet, das es auch selbst erarbeitet hat. Real gehen die Menschen nur nach Präsidentenwahlen auf die Straße.

STANDARD: Wie bewerten Sie die EU-Sanktionen?

Milinkewitsch: Ich bin für personelle Sanktionen und Einreiseverbote. Aber ich bin kategorisch gegen Wirtschaftsembargos. Embargos führen nur dazu, dass sich die Staaten einigeln, statt demokratischer zu werden. Außerdem sinkt dadurch die proeuropäische Stimmung in Weißrussland. Die EU muss stattdessen den Kontakt zur Zivilgesellschaft suchen. (André Ballin, DER STANDARD, 21.9.2012)