Harn lassen für eine gute Sache: Der menschliche Urin kann in Kombination mit Resten der Olivenproduktion einen Beitrag zur Reduktion von klimaschädlichem Kohlendioxid leisten.

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Mit menschlichem Urin und Resten aus der Olivenölproduktion ist es möglich, der Atmosphäre massig Kohlendioxid (CO2) zu entziehen und als Dünger zu binden. Das hat Forscher Manuel Jiménez Aguilar vom Agrar- und Fischereiwissenschaftlichen Forschungs- und Bildungsinstitut Ifapa der andalusischen Regionalregierung in Granada herausgefunden.

Der in der Agrarchemie beheimatete Jiménez hat eine Methode entwickelt, mit der "ein Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen absorbiert werden könnte", wie er im "Journal of Hazardous Materials" im März schrieb. "Es gilt, aus Abfällen wie Urin etwas von ökonomischem Wert zu schaffen", präzisiert Jiménez im STANDARD-Gespräch. "In der Reaktion entsteht der Stickstoffdünger Ammoniumhydrogencarbonat, der seit drei Dekaden in China Einsatz findet."

Wälder, Ozeane und Felsmassive sind allesamt CO2-Speicher. Meist liegen sie fern industrieller Ballungszentren. Um große Mengen CO2 zu speichern, bedürfe es einer Substanz, die in Millionen Tonnen fern natürlicher "Bunker" vorkomme. "Urin ist eine solche", sagt Jiménez. " Ein jedes Harnstoff-Molekül im Urin produziert ein Molekül Ammoniumhydrogencarbonat und ein weiteres Molekül Ammoniak, das wiederum ein Molekül CO2 einfangen kann." Der gewonnene Stickstoffdünger eigne sich besonders für basische, kalkhaltige Böden. In ihnen entstehe Kalziumcarbonat, das die Bindung von Gasen verbessere, sagt der Chemiker.

Damit der Harnstoff nicht binnen Tagen zerfalle, müssten ein bis zwei Prozent von Alpechín beigemengt werden. Es ist die spanische Bezeichnung für die Restflüssigkeit aus der traditionellen Olivenölproduktion, wie sie noch von maximal 20 Prozent der kleinen Mühlen Andalusiens, meist Familienbetriebe, gemacht wird. Griechenland, Italien, die Türkei und nordafrikanische Länder blieben dieser Methode treu, sagt Jiménez.

Alpechín besteht großteils aus Wasser, nur 15 Prozent sind organisches Material. Doch wirkt es wie ein Konservierungsmittel auf den Harnstoff. Auch Abfälle anderer agrartechnischer Herstellungsverfahren, etwa der Rumproduktion aus Zuckerrohr, wären nutzbar. Die Mischung aus Urin, CO2 und Olivenrestwässern sei ein Ammonium-Nitrat-Phosphor-Kalium-Dünger.

Über mehr als sechs Monate könne diese grammweise CO2 pro Liter absorbieren. Die Effektivität der Methode ließe sich steigern, würde man den Flüssigkeitskreislauf unter erhöhtem Druck in Industrieschornsteinen oder den Kaminen von Häusern einbauen. "Auch Experimente mit Hühnerausscheidungen schaffen die dreifache CO2-Aufnahme", sagt Jiménez, der seinen eigenen Harn für Forschungszwecke sammelt: "Ziel ist das Zehnfache." Essenziell sei ein Messgerät, das den Sättigungsgrad der Urin-Oliven-Flüssigkeit misst, um diese gegen eine frische zu tauschen. Die Gesättigte könnte als Flüssigdünger an Landwirte geliefert werden.

Der Umgang mit den Abwässern der Industrienationen müsse völlig neu durchdacht werden. Jiménez: "Nichts ist schwerer, als Gewohnheiten zu ändern." Idealerweise würden neue Wohnsiedlungen gleich auf das Vor-Ort-Recycling hin geplant, und die bestehenden auf die Trennung von Exkrementen und Abwasser sowie von Urin hin erneuert.

Lösung für Umweltproblem

"In Entwicklungs- und Schwellenländern wäre das Hygiene- und Umweltproblem prompt gelöst", glaubt Jiménez, der bisher vergebens Düngemittelproduzenten kontaktiert hat. Wäre doch ein weiterer Vorteil seiner Methode der, dass sie die Kosten für Dünger deutlich reduzieren würde. Abwässer vor Ort zu recyceln erspare pro Kopf 20 Liter an Trinkwasser täglich.

Jiménez sucht Unternehmer, die sich seiner "Noch-Utopie" annehmen: " jemanden, der in seiner Fabrik mit dem Harn der Mitarbeiter den CO2-Ausstoß reduziert". Würde der Mensch seinen Harn wie früher in den Gerbereien, Färbereien und in der Metallverarbeitung ökonomisch nutzbar machen, "es wäre ein Allheilmittel". (Jan Marot aus Granada/DER STANDARD, 22./23. 9. 2012)