Die politische Diskussion benötigt offenbar martialische Leitbilder. Manchmal sind sie gerechtfertigt, wie etwa das des Klassenkampfes im 19. Jahrhundert; spätestens im Zeitalter der Sozialpartnerschaft ist uns dieses kriegerische Bild jedoch abhanden gekommen. Die Konstrukte vom Kampf der Religionen oder vom "clash of civilisations" konnten den Verlust bloß unzureichend kompensieren. Zuletzt scheint es jedoch gelungen zu sein, einen passenden Ersatz zu finden: den Krieg der Generationen! Der Kampf zwischen der Generation der "Alten", die glücklich und weit über ihre Verhältnisse vor sich hin leben, und den "Jungen", denen sie riesige Staatsschulden und die Finanzierungsbürde ihrer Pensionen hinterlassen.
Die gierigen Alten beuten nach diesem Zerrbild die Jungen aus, die gezwungen sein würden, hart zu arbeiten und asketisch zu leben, um die hinterlassene Schuldenlast zu tilgen, und nie in den Genuss ähnlich hoher Pensionen kommen könnten. Daraus entstand das Schlagwort von der "Aufkündigung des Generationenvertrags" durch die Jungen, was immer das inhaltlich auch bedeuten mag. Nicht bloß von Jugendvertretern ist dieses dubiose Schlagwort zu hören, auch von eher "gerontokratischen" Institutionen wie der Kirche; und für Journalisten und Feuilletonisten lässt sich das martialische Bild herrlich ausmalen. Was ist sein realer Gehalt?
Gerechte Empörung?
Die Vertreter der Jungen beklagen sich vor allem über die angeblich enormen Staatsschulden, die die Alten ihnen hinterlassen. Fast 150 Mrd. Euro, 44.000 pro Haushalt; wer soll das je zurückzahlen? Sie übersehen dabei, dass ihnen die Alten nicht bloß 150 Mrd. Euro Schulden, sondern auch gut 290 Mrd. Euro Geldvermögen hinterlassen - 85.000 je Haushalt!
Das hohe Vermögenserbe zu akzeptieren, sich zugleich jedoch über die halb so hohen Schulden zu beklagen zeugt nicht eben von Fairness, legt jedoch eine simple Lösung der Frage "Wer soll das je zurückzahlen?" nahe: Wenn die Alten selbst die Schulden voll zurückzahlen, vererben sie bloß 140 Mrd. Geldvermögen, immerhin noch 41.000 - schuldenfrei - für jeden jungen Haushalt. Das zeigt, dass die Alten keineswegs über ihre Verhältnisse gelebt haben; sie haben vielmehr gespart, und die Jungen werden vom ererbten Nettovermögen nicht unerheblich profitieren.
Die Jungen profitieren aber noch auf einem zweiten Weg - sogar noch viel stärker - von den angeblich so gierigen Alten. Aus deren Ersparnissen - und indirekt über die Staatsschulden - wurden Werte aufgebaut, von denen die Jungen profitieren: ein Autobahn-und Schnellstraßennetz, ein U-Bahn-Netz, ein Telefonfest-und Mobilnetz, eine flächendeckende Wasserver- und -entsorgung, eine Umwelt, die in Bezug auf Luft- und Gewässerverschmutzung erheblich verbessert wurde, ein Gesundheitswesen, das die Lebenserwartung drastisch erhöhte, und nicht zuletzt ein Ausbildungssystem, das mehr Jungen eine längere und bessere Ausbildung bietet. Von den Alten sind bloß 4½ % Hochschulabsolventen, rund die Hälfte musste sich mit Pflichtschulwissen begnügen, doch sie investierten massiv in das Humankapital ihrer Kinder: 28 % der Jungen haben Hochschulbildung, nur noch 17 % bloß Pflichtschule. Wollen die Jungen den Generationenvertrag kündigen, nachdem die Alten massiv in die materielle Infrastruktur und in das Humankapital eben dieser Jungen investiert haben? Wollen sie die Erträge der Investitionen der Alten allein genießen?
Dem antworten die Jungen mit dem Argument, dass der Anteil der Alten (60 Jahre und darüber) von 21 % der Bevölkerung im Jahr 2000 auf 34 % im Jahr 2040, also um gut 60 %, steigen wird und es unmöglich sei, die daraus resultierende Belastung zu verkraften. Dabei wird bewusst oder unbewusst übersehen, dass die jeweils arbeitende Generation nicht bloß die Alten, sondern auch die Kinder erhalten muss; deren Zahl wird jedoch deutlich abnehmen: Mitte der 60er-Jahre, als die jetzt abtretende Generation ins Erwerbsleben trat, hatten 56 potenzielle Erwerbstätige (15 bis 65 Jahre) 24 Kinder und 20 Alte zu erhalten, also 44 Personen; 2021 werden 58 Erwerbstätige 14 Kinder und 28 Alte zu erhalten haben, somit bloß 42 Personen. Die Altenquote steigt zwar, die gesamte demografische Belastungsquote jedoch keineswegs.
Arme Erben?
Nun mögen Kinder "billiger" sein als Alte, doch gilt es zu berücksichtigen, dass die Erwerbstätigen heute auch viel produktiver sind. Es wurde ja massiv in ihre Ausbildung investiert, und es steht ihnen ein viel größerer Kapitalbestand (in Form von Maschinen wie von Infrastruktur) zur Verfügung: Mitte der 60er-Jahre lag die Produktivität zu Beginn der Erwerbstätigkeit der damals Jungen bei rund 30.000 Euro, Anfang der 90er, bei rund 55.000 Euro, also fast doppelt so hoch. Die Einkommen (pro Kopf) sind in diesem Zeitraum sogar auf mehr als das Doppelte gestiegen, weil die Erwerbsquote zugenommen hat. Die Jungen, die Erbengeneration, sind also sehr viel wohlhabender als es die Alten je gewesen sind, sodass nicht leicht einzusehen ist, wieso das vor uns liegende Umverteilungsproblem mit einer derartigen Dramatik inszeniert wird. Von den erheblich höheren Einkommen muss bloß ein relativ kleiner Teil an die Alten abgetreten werden.
Damit soll und kann nicht geleugnet werden, dass es ein Pensionsproblem gibt: Anfang der 70er-Jahre betrug die Ausbildungszeit 17 Jahre, man ging im Durchschnitt mit 61 Jahren in Pension und starb mit 70: 44 Arbeitsjahre hatten neun Pensionsjahre zu finanzieren. Heute hat sich die Ausbildungszeit auf 23 Jahre verlängert, man geht mit 59 im Pension und stirbt mit 79: 36 Berufsjahren stehen 20 Pensionsjahre gegenüber. Insofern waren schon bisher erhebliche Anpassungen des Pensionssystems erforderlich, und sie wurden auch mehr oder weniger problemlos bewältigt. In Zukunft wird die Lebenserwartung wohl weiter steigen und die Ausbildung kaum kürzer werden.
Dazu kommt - demografisch bedingt - ein höherer Anteil über 60-jähriger, allerdings auch ein merklich geringerer Anteil von Kindern. Das Pensionsantrittsalter wird daher zwangsläufig parallel zur steigenden Lebenserwartung hinaufgesetzt werden müssen, und vermutlich wird auch die Höhe der Pensionen relativ zu den Aktiveinkommen geringer sein. Doch gibt es weder irgendeine Begründung dafür, dass der Lebensstandard künftiger Rentner niedriger sein muss als der der heutigen, noch dafür, dass das unfinanzierbar wäre oder gar dass die Finanzierung der künftigen Pensionen die Jungen pauperisiere und zwangsläufig zu einem Generationenkonflikt führe.