Immer den Überblick bewahren, alles selbst regeln und steuern: Das ist für Peter Baumgartner wesentlich beim E-Learning.

Foto: Christian Fischer

Technik verändert zunehmend Bildung und Lernverhalten unserer Gesellschaft. Welche Vorteile und Perspektiven neue Formen des E-Learnings mit sich bringen, erklärt der Didaktik-Experte Peter Baumgartner im Gespräch mit Kurt de Swaaf.

STANDARD: Der Begriff E-Learning taucht als Stichwort immer häufiger in den bildungswissenschaftlichen Debatten auf. Welche Entwicklungen beobachten Sie auf diesem Gebiet?

Peter Baumgartner: Viele Menschen verstehen unter E-Learning noch den Gebrauch von CD-ROMs. Mittlerweile gibt es allerdings auch eine eigene Software, Lernplattformen oder Lernmanagement-Systeme genannt. Sie unterstützen den Lernprozess. Da kann ich als Lehrender nicht nur Inhalte "hineinstellen", sondern Studierende können mit diesen Inhalten interagieren.

STANDARD: Was heißt das?

Baumgartner:  Das heißt: Aufgaben lösen, Fragen beantworten oder auch mit anderen Studierenden zusammenarbeiten. Diese Form nennt man auch Online-Lernen, und sie wird bei uns an der Donau-Uni Krems mit Präsenzveranstaltungen gemischt. Das wiederum bezeichnet man als "blended learning". So werden die Vorteile beider Lernmethoden kombiniert.

STANDARD: Beinhaltet E-Learning grundsätzlich eine andere Lernkultur als die traditionellen Bildungsformen?

Baumgartner: E-Learning hat zwei wesentliche Aspekte: Es ist mehr selbstgesteuert und verlangt eine hohe Eigenverantwortung des Lernenden. Abgesehen davon ist die Wissensvermittlung besser individualisierbar, also auf die Bedürfnisse der einzelnen Person zugeschnitten, als dies beim Präsenzunterricht der Fall ist, weil dieser meist in Gruppen stattfindet. Es gibt aber noch weitere Vorteile: Lernende können beliebig oft, jederzeit und beliebig lange auf den Unterrichtsstoff zugreifen. Das Internet bietet eine fast unbegrenzte Informationsressource. Auch gibt es die Möglichkeit der Interaktion mit Simulationsmodellen und dergleichen. Die dreidimensionale Visualisierung von Molekülstrukturen zum Beispiel. Auf der Tafel kann man das nicht so schön sehen. Und das Beste dabei ist: Sie können die Parameter solcher Modelle selbst regeln und steuern, um zu schauen, was passiert. Wir nennen das entdeckendes Lernen. Das alles ist an der Tafel nicht möglich.

STANDARD: E-Learning ist also mehr als nur ein modischer Trend?

Baumgartner:  Natürlich. Wichtig ist vor allem die Integration von Technologie und sozialem Lernen. Der technologieunterstützte Lernprozess ist allerdings schon so weit verbreitet, dass das "E" bald wegfallen wird. E-Learning wird dann für alle Alltag sein.

STANDARD: Lassen sich bereits Erfolge des E-Learnings in der Praxis nachweisen?

Baumgartner:  Es ist immer außerordentlich schwierig, solche Fortschritte klar und vergleichend zu messen. Deshalb sind die Ergebnisse solcher Untersuchungen eher dünn. Viele Bildungsmöglichkeiten würde es aber ohne E-Learning gar nicht geben. Von großer Bedeutung ist dabei die Steuerung der Lernzeit, sodass man sich den Zeitplan selbst gestalten kann und trotzdem Interaktion hat. Für berufstätige Lernende ein enormer Vorteil.

STANDARD: Welche Rolle spielen die sogenannten E-Portfolios?

Baumgartner: Das sind elektronische Sammelmappen. Sie können darin Ihre Produkte, das, was Sie im Lernprozess produziert haben, zeigen. So wie ein Künstler seine Arbeiten. Ich kann mich zum Beispiel bei einer englischsprachigen Diskussion aufnehmen lassen, und jeder, der sich dieses Video ansieht, kann dann meine Englischkompetenzen hervorragend einschätzen, besser als durch eine Note in einem Zeugnis. Wir können somit die E-Portfolios als Kompetenznachweise verwenden, alles lässt sich darin speichern.

STANDARD: Das lässt sich auch auf einer Homepage speichern.

Baumgartner: Im Unterschied zu einer normalen Webseite können Sie jedoch ganz gezielt die Zugänge zu diesen Artefakten, den Inhalten, steuern. Wenn ich beispielsweise eine Bewerbung abgebe, kann ich ein ganz bestimmtes Foto freigeben und andere unter Verschluss halten. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit von E-Portfolios ist, dass Lernende ihre Fortschritte über die Zeit beobachten und vergleichen können. Sie haben dadurch die Möglichkeit, über ihren Bildungsprozess nachzudenken. Wir nennen das reflexives Lernen, eine Art von Metakognition.

STANDARD: Wie wird die Lern- und Informationstechnologie Ihrer Meinung nach die Zukunft der Bildung prägen?

Baumgartner: Ich bin davon überzeugt, dass technisch unterstütztes Lernen in der Zukunft alltäglich sein wird. Dazu kommt, dass die Endgeräte immer kleiner werden. Man kann sie ständig mit sich herumtragen. Dadurch wird das Lernen quasi allgegenwärtig. Wir nennen das die drei A: "Anytime, anywhere and anybody". Das E-Learning wird allerdings das soziale Lernen, das Lernen in Gruppen, durch und mit anderen Menschen, nicht ersetzen. Der herkömmliche Lernprozess wird vielmehr angereichert durch den elektronisch unterstützten. Das ist die positive Seite. Was sich negativ auswirken könnte, ist die Machtkonzentration einiger weniger Firmen wie Google und Apple, die so die Freiheit des Internets bedrohen.

STANDARD: Etwa durch das Sammeln von persönlichen Daten?

Baumgartner: Werbung und Suchergebnisse werden immer stärker personalisiert, und die Realität wird mir zunehmend durch einen Filter vorgesetzt. Auch beim E-Learning. Google weiß zum Beispiel, dass ich nicht religiös bin, und deshalb bekomme ich beim Suchen andere Informationen vorgesetzt als ein gläubiger Mensch. Dadurch ist der Manipulation Tür und Tor geöffnet, auch auf politischem Gebiet. Am Ende glaube ich durch das Rückspiel personalisierter Daten - die durch meiner Interaktion mit der Software generiert werden - gar, dass die ganze Welt so denkt wie ich.

(Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 26.9.2012)