St. Pölten/Wien - Der Ton des Beipacktextes zu der E-Mail ist auffordernd und dringlich: "Weiterleiten!!!", heißt es da, und: "Bitte auch den Anhang lesen!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!" Der Inhalt der Mail selbst ist ausländerfeindlich, eine Aneinanderreihung falscher Behauptungen.
"Ausländer und/oder Asylwerber" würden ihre Kinder mit dem Taxi in den Kindergarten bringen lassen: "Das Taxi wird vom Land NÖ bezahlt", heißt es da. "Für auffällige Kinder (großteils ausländischer Abstammung)" würden extra "Kindergärtnerinnen und Dolmetscher gestellt". Dabei würden die Kindeseltern "öffentlich bekennen, dass sie nur in Österreich sind, weil hier alles für sie bezahlt wird" (siehe Faksimile links).
FPÖ-Politiker leitete Mail weiter
Verfasst wurde der Text von einem Polizisten, der als Bezirksinspektor in Niederösterreich Dienst tut. Er hat die Mail, die dem STANDARD gleich mehrfach vorliegt, mit seinem Namen, seiner Dienststelle und -adresse, seiner Telefon- und Handynummer verschickt - aus St. Pölten, von seinem dienstlichen Mailaccount.
"Dazu stehe ich, und es kann jeder in seinen Verteiler übernehmen und versenden", schrieb der Beamte unter seine Meinungsspende. So geschah es auch: Vernetzte FPler drückten hurtig auf den "Weiterleiten"-Knopf: "Es stellt mir die Zehennägel auf wenn ich sowas lese ..., mit freiheitlichen Grüßen." Unbekannte fügten Hetz-Attachments gegen eine Grünen-Politikerin bei. Lawinenähnlich verbreitete sich die fremdenfeindliche Mail im Netz.
Auf diese Art bekam auch der grüne Nationalratsabgeordnete Karl Öllinger Wind von der Gerüchteverbreitung. Kurzentschlossen kontaktierte er den beamteten Mailverfasser - um von diesem zwei Tage später eine "Richtigstellung" zu erhalten.
Zu spät für Korrektur
"Aufgrund der großen Resonanz habe ich genaue Recherchen angestellt", schrieb der Polizist: Die "taxifahrenden Kindergarten- und Schulkinder" gebe es durchaus, aber nur in Regionen mit wenigen Kindern (unabhängig von deren Herkunft) und ohne öffentliche Verkehrsmittel.
Doch zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Falschmeldung bereits verselbstständigt. Obwohl alle Behauptungen in der Ursprungsmail gelogen waren: "Wenn so etwas von einer mit Autorität ausgestatteten Stelle kommt, fallen viele darauf herein", meint Öllinger. Er erinnert an Erfahrungen mit früheren Rechten-Kettenmails. So kursierte jahrelang eine ursprünglich offenbar aus Oberösterreich stammende Mail mit der Behauptung, der Landesschulrat habe ein Grüß-Gott-Verbot dekretiert. Obwohl es nie einen solchen Plan gegeben hatte, geglaubt wurde er.
Disziplinarbehörde wurde tätig
Ebenso plausibel erschien vielen die angeblich aus dem Wiener Stadtschulrat stammenden Lüge, dass ältere Rumänen und Bulgaren sich in Österreich nur anmelden müssten, um 720 Euro Pension zu beziehen. Als Mail-Absenderin fungierte eine Stadtschulratsbeamtin, die nichts mit der Sache zu tun hatte. Jahrelang war sie damit beschäftigt, das richtigzustellen. Rechtlich, so hieß es, könne ihr nicht geholfen werden: Wegen der massenhaften Verbreitung sei der Urheber nicht eruierbar.
Um zumindest in Fällen mit bekanntem Absender wie nunmehr in Niederösterreich eine Hand habe zu besitzen, schlägt der Grüne Öllinger "Adaptierungen des Strafrechtsparagrafen gegen Verhetztung" vor. Doch damit stößt er etwa beim Anwalt Georg Bürstmayr auf Widerspruch: "Auch wenn es sich um böse Gerüchte handelt, die Meinungsfreiheit geht vor", meint dieser.
Im Fall des freimütigen St. Pöltner Polizisten wurden inzwischen übrigens die Disziplinarbehörden tätig. "Der Sachverhalt wird dienst- und disziplinarrechtlich geprüft" heißt es beim nieder österreichischen Landepolizeikommando. (Irene Brickner, DER STANDARD, 26.9.2012)