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Kanzlerin Angela Merkel stand im U-Ausschuss Rede und Antwort.

Foto: EPA/MICHAEL KAPPELER

Es ist die 77. Minute im Gorleben-Untersuchungsausschuss des Bundestags. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist belehrt worden, dass sie mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft werden kann, wenn sie die Unwahrheit sagt, da holt die SPD-Opposition die große Keule heraus: "Sie haben die Unwahrheit gesagt", ruft die Abgeordnete Ute Vogt der Kanzlerin entgegen. Doch die Kanzlerin muss nicht in den Knast.

Denn die Dinge sind, gerade auf dem Feld der juristisch und politisch erbittert umkämpften Atomkraft, kompliziert. Es geht bei diesem U-Ausschuss um die Frage, ob die junge Umweltministerin Merkel in der Regierung Kohl zwischen 1994 und 1998 die Begründungen für die Wiederaufnahme der Erkundungen im Salzstock Gorleben manipuliert hat und als Erfüllungsgehilfin der Atomkonzerne eine Billiglösung durchdrücken wollte. Es geht aber auch um ein aktuelles Duell: Der jetzige SPD-Chef Sigmar Gabriel hat mit diesen Vorwürfen 2009 Wahlkampf gegen Merkel gemacht.

Gut gelaunt

Fröhlich und sichtlich gut gelaunt hat Merkel am Morgen auf die Sekunde pünktlich den Sitzungssaal betreten, jedes Ausschussmitglied persönlich mit Handschlag und Lächeln begrüßt, einige Minuten Blitzlichtgewitter ganz ruhig ertragen und aus einem blauen Pappordner eine gute halbe Stunde lang vorgelesen, wie sie die Zusammenhänge sieht: dass es Mitte der 1990er-Jahre nach Expertenansicht zwar "nicht optimal", aber durchaus "sinnvoll" gewesen sei, die Gorleben-Erkundung fortzusetzen. Eine halbe Stunde später zieht sie für sich die Bilanz, dies sei " richtig, verantwortlich und notwendig" gewesen.

Falsch, unverantwortlich, unnötig war das hingegen für die damaligen Gorleben-Endlager-Gegner, die heute Merkel deswegen stellen wollen. Schlüsseldokument ist für sie eine von Merkel damals vorgestellte Vergleichsstudie, die 40 mögliche andere Endlager-Standorte untersuchte, den einen oder anderen für durchaus überprüfbar einstufte, aber nichts zu Gorleben sagte.

"Politische Folgerung"

An dieser Stelle beginnt die Opposition zu punkten. Die frühe Merkel berief sich genau auf diese Studie, als sie sagte: "Gorleben bleibt erste Wahl". Genüsslich lesen SPD, Grüne und Linke aus Merkels alten Presseerklärungen vor, lassen ein uraltes Merkel-Radio-Interview abspielen und dokumentieren so, wie laut Merkel das Gutachten angeblich "zu der Meinung" komme, dass Gorleben "aus geologischer Sicht weiter erkundet werden sollte". Obwohl davon nichts in der Studie steht.

Merkel versucht zu erklären, dass es darum gegangen sei, die aufgewühlte Stimmung in den 40 anderen Regionen einzufangen und sie die "politische Folgerung" aus dem Gutachten gezogen habe, dass Gorleben erste Wahl bleibe und die anderen Standorte, die nur theoretisch und nicht praktisch verglichen worden seien, erst infrage kämen, wenn sich Gorleben als definitiv ungeeignet herausgestellt habe. "Warum haben Sie das dann damals nicht so gesagt?", fragt Vogt. "Weil ich damals nicht so perfekt war wie heute", antwortet die Kanzlerin. (Gregor Mayntz, DER STANDARD, 28.9.2012)