Wien - Ob Jugoslawien, der Irak, Afghanistan oder Syrien - Friedrich Orter (63) war in den vergangenen 20 Jahren für den ORF an den gefährlichsten Plätzen der Welt unterwegs. Mit seinen Berichten von 14 Kriegen informierte und berührte er Österreichs Fernsehzuseher und mit seiner unvergleichlichen Stimme lieferte er den betroffenen Soundtrack zu einer immer unübersichtlicheren Welt und einer immer chaotischeren Weltordnung. Nun geht Orter in Pension und absolvierte am Freitag den letzten Arbeitstag. Nach dem Tod seiner Frau sei etwas von seiner Kraft "weggebrochen". Nun wolle er die Zeit des Ruhestands nutzen, um "ein bisschen mich selbst zu finden", wie Orter erklärt.
Die letzte Reportage-Reise führte Orter nach Syrien. Von dort lieferte er in der vergangenen Wochen noch einmal seine Analysen für die "Zeit im Bild". In Sachen Wahrheit orientierte sich Orter an Dürrenmatt: "Wir müssen nicht objektiv sein, wir müssen ehrlich sein. Wenn sie da draußen sind, dann können sie nur den Ausschnitt zeigen, den sie erleben, ein Mosaikstein. Das Gesamtbild muss die Redaktion zusammensetzen. Das ist Wahrheitssuche."
Schlimmster Einsatz Balkankriege
Orters schlimmster Einsatz waren die Balkankriege auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens. "Weil sie direkt vor unserer Haustüre stattgefunden haben, weil da persönliche Betroffenheit war, weil es da Familien gab, die ich gekannt habe, die umgekommen sind und die ich verloren habe. Dort habe ich gesehen, wozu ein Mensch fähig sein kann."
Zynisch ist Orter trotz der vielen Kriege und des Elends dennoch nicht geworden, wie er sagt. "Ich habe mich immer als Friedensberichterstatter verstanden, ich habe mich immer um die Menschen gekümmert. Wenn man heute zu Betroffenen nach Damaskus kommt, dann sieht man, dass es neben Twitter und Facebook noch was anderes gibt. Die Menschen sind dankbar für den persönlichen Kontakt und dass die Welt sie nicht vergessen hat", erzählt der ORF-Journalist. "Kriegsberichterstattung funktioniert inzwischen ja so, dass Regierungen und Militärs entscheiden, von wo man berichten darf. Und die, die sich nicht daran halten, bezahlen oft mit ihrem Leben."
Reisen nicht mehr finanzierbar
Sorge bereiten Orter die wirtschaftlichen Zwänge, denen sich Journalisten heute ausgesetzt sehen. "Früher hatten wir das Privileg, jeden Monat zweimal herumreisen zu können. Heute ist das nicht mehr finanzierbar. Alle Sender und alle Zeitungen müssen sparen. Viele verwenden nur mehr Material von Agenturen - more of the same." Dankbar ist Orter den "mutigen Kameraleuten", die ihn bei seinen Recherchen begleitet haben. "Ohne die wäre das alles nicht möglich gewesen." Angst sei bei der Arbeit ein ständiger Begleiter und "lebensnotwendiger Abwehrmechanismus".
Immer wieder kam es zu gefährlichen Situationen. 1991 musste Orter vom Bürgerkriegsgebiet in Jugoslawien kurzfristig abgezogen werden, nachdem der jugoslawische Generalmajor Milan Aksentijevic auf einer Pressekonferenz Orter als einzigen West-Journalisten namentlich attackiert und bedroht hatte. 1994 meldete sich Orter für den ORF regelmäßig aus dem heftig umkämpften Sarajewo. Zu einem dramatischen Erlebnis kam es 1997 während des albanischen Bürgerkriegs. Bei Dreharbeiten wurden Orter und sein Team von maskierten Banditen überfallen, Auto, Kameras und Gepäck geraubt, die Reporter "bis auf die Unterhose" ausgezogen. Auf dem anschließenden Fußmarsch Richtung Tirana wurde die Gruppe ein weiteres Mal überfallen.
"Lehrmeister" Lendvai und Coudenhove-Kalergi
Seine ORF-Karriere begann der promovierte Historiker und gebürtige Kärntner 1975 gleich nach seinem Studium. Orter arbeitete zunächst für die Kurzwelle und stieß dann zur neu gegründeten ORF-Osteuroparedaktion. Dort waren Paul Lendvai und Barbara Coudenhove-Kalergi seine "Lehrmeister". Polen, Rumänien und andere Länder der osteuropäischen Wende um 1989 zählten zu Orters Stationen. Mit dem "Krieg gegen den Terror" kamen Krisengebiete in Zentralasien, dem Nahen und Mittleren Osten dazu. Für seine Reportagen und Dokus wurde Orter immer wieder ausgezeichnet: Renner-Preis für Publizistik, Preis des Österreichischen Roten Kreuzes, OSZE-Preis für Journalismus und Demokratie, Ermacora-Preis für Menschenrechte und die "Kurier"-Romy.
Vorbereitung, Empathie, Sprache
Den Kriegsreportern von heute empfiehlt Orter das, was für jeden Journalisten gilt: "Intensive Vorbereitung auf das Gebiet und die Region, Empathie mitbringen, die Menschen und deren Kultur verstehen, Sprachen verstehen. Und letztlich muss jeder die physische und psychische Stärke haben, das auch auszuhalten. Wer das nicht hat, geht man zugrunde." Dass sich Orter journalistisch völlig zur Ruhe setzt, ist übrigens nicht zu erwarten. "Ein Journalistenleben geht erst mit dem letzten Seufzer zu Ende." (APA, 28.9.2012)