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Der Diener wollte nur Zichorien schneiden: Habakuk (Johann Adam Oest, li.) und Rappelkopf (Cornelius Obonya) bei der Werkzeugbegutachtung.

Foto: APA/PFARRHOFER

Wien - Es passiert eine Menge in Michael Schachermaiers Inszenierung des Original-Zauberspiels Der Alpenkönig und der Menschenfeind im Wiener Burgtheater. Ein Medizinmann (Johannes Krisch) mit weißen Farbpigmenten im Gesicht kriecht aus dem Orchestergraben. Er knurrt und wispert Chansons der heimischen Laptop-Künstlerin Eva Jantschitsch (alias Gustav).

Astragalus gebietet über ein kahles Sperrholzgebirge (Bühne: Damian Hitz). Seine Lederhose hat er aus der Haut eines Büffels gewonnen, Gesicht und Oberkörper färbt er mit Hirschblut rot. Würde ein solcher Schamane in Ferdinand Raimunds Lieblingsgegend zwischen Guten- und Pottenstein angetroffen: Man würde das Piestingtal samt Umgebung zum Reservat erklären.

So aber muss der Alpenkönig einen geschworenen Misanthropen von dessen Menschenhass kurieren. Im Hauswesen des Herrn von Rappelkopf (Cornelius Obonya) sind die Domestiken noch viel verrückter als ihr Gift und Galle spuckender Chef. Vor einer Glasfront mit traumhaftem Alpenblick rubbelt die anmutige Herrin (Regina Fritsch) ein Porzellanfigürchen trocken. Das Gesinde aber will die Tobsuchtsanfälle des Prinzipals nicht länger ertragen. Man entrollt ein Transparent, auf dem der Name "Rappelkopf" rot durchgestrichen ist. Die "Occupy"-Bewegung greift auf Niederösterreich über. Die Welt steht auf keinen Fall mehr lang.

Gruß von Lars von Trier

Diese Vermutung erhält noch weitere Nahrung. Wenn gegen Ende des ersten Aktes - Rappelkopf hat die Flucht ergriffen und ist in eine Köhlerhütte ausgewichen - der Menschenfeind Besuch vom Alpenkönig erhält, geht ein riesig großer Kratermond über der Sperrholzlandschaft auf. Man fühlt sich dunkel an Lars von Triers Film Melancholia erinnert. Regisseur Schachermaier fallen tausend schöne Dinge ein. Er lässt sich nur von Raimunds abgrundtiefer Verzweiflung nicht anstecken. Die Schauspieler haben zahllose Tricks und Finten auf Lager. Sie stellen ihre Absonderlichkeiten wie Varieténummern aus.

Rappelkopf selbst braucht eigentlich gar keinen Therapeuten. Obonya gibt einen hellwachen, zähen Defensivkünstler, der jeden Aufruhr mit schonungslosem Gebrüll im Keim erstickt. Die Tyrannei über seine Umwelt macht ihm Spaß; das Einverständnis mit dem Publikum zieht er jeder Anwandlung von Selbsthass vor. Ginge es nach diesem Raimund-Spieler, so müsste das alte Zaubertheater vor kerngesunden Tatmenschen nur so wimmeln.

Rappelkopf darf in der Gestalt seines Schwagers zusehen, wie Astragalus, der in seine Haut geschlüpft ist, alle seine Ausbrüche an Grässlichkeit noch überbietet. Krisch hinkt und tobt wie ein Wilder. Er geht gebückt und ist mit jedem Zoll nicht das Ebenbild seines Patienten. Rappelkopfs Tochter Malchen (Liliane Amuat) erschauert fromm. Dorn (Peter Miklusz), ihr malender Bräutigam in spe, kann bestimmt kein Terpentin riechen. Aber er singt schön. Hängt der unerhebliche, aber freudig beklatschte Abend, dann ist Eva Jantschitschs Musik verlässlich zur Stelle. Ein vorsichtig digitalisierter Tom-Waits-Moritatenblues hinkt durch die Landschaft.

In der wohnen zwei Figuren, an denen man sich kaum sattsieht. Da ist das Stubenmädchen Lischen (Stefanie Dvorak), an dessen Mundwerk sich der alte Diener Habakuk (Johann Adam Oest) kaputtstößt. Und da ist Habakuk selbst, der, wie jedermann weiß, "zwei Jahre in Paris" war. Rappelkopfs Zorn reizt ihn. Oest ist der wahre, kultivierte "Wilde", in dem der Dämon der Ruhelosigkeit den Brand der Komödiantik entfacht. Feuer, das Schachermaiers Inszenierung sonst fehlt.  (Ronald Pohl/DER STANDARD, 1. 10. 2012)