Alois Brettbacher mit seiner Epithese. Das künstliche Gesichtsteil muss alle zwei Jahre erneuert werden.

Foto: MKG-Chirurgie, AKh-Linz

Epithesen werden aus Silikon geformt und anschließend bemalt.

Foto: derStandard.at/Sophie Niedenzu

In der Box befinden sich Reinigungsutensilien und Wundsalben.

Foto: derStandard.at/Sophie Niedenzu

Christian Kreuzer hält in der einen Hand ein leuchtend orange schimmerndes Ohr, in der anderen eine dazu passende Gipsform hoch. Kreuzer ist Zahntechniker mit einer speziellen Zusatzausbildung: Er ist Epithetiker. Er modelliert Epithesen, also künstliche Augen, Ohren oder Nasen für Patienten, die Teile ihres Gesichts verloren haben. 

Die Arbeit erinnert an die eines Künstlers: Zuerst wird ein Abdruck gemacht, dann Nase, Ohr oder Auge mit Wachs modelliert. Passt die Form dem Patienten, dann wird ein Modell aus Silikon erstellt und bemalt. Kreuzer arbeitet dabei mit drei Farben, mit der die Hautfarbe des Patienten nachgeahmt wird - möglichst authentisch soll die Epithese sein, daher werden auch Äderchen oder Oberlippenbärte gemalt.

Magnet-Implantate im Knochen

Drei bis vier Tage dauert die Anfertigung einer Epithese - je nachdem, wie oft die Form an das Gesicht des Patienten angeglichen werden muss. Augenepithesen etwa dauern oft länger. "Da muss die Augenschale so positioniert werden, dass der Patient geradeaus sieht, daher modelliere ich Unterlid und Oberlid getrennt damit ich dann die Augenschalen leichter drehen kan. Dann erst werden die Lider fixiert", sagt Kreuzer. Halt finden die gängigen Epithesen über Magnete, die in den Gesichtsteilen selbst und in den vom Chirurgen verankerten Magnet-Implantaten im Knochen befestigt sind. 

Meist ist es eine Tumorerkrankung, die eine Epithese erforderlich macht. Unfallpatienten oder Menschen mit angeborenen Fehlbildungen machen nur einen kleinen Teil der Patienten aus. Bei Alois Brettbacher etwa wurde vor vielen Jahren ein Basaliom, ein weißer Hautkrebs diagnostiziert. Seitdem hat er 28 Operationen gehabt. Die Tumorzellen kamen immer wieder zurück - und schlussendlich mussten ihm die Nase und das Oberkiefer entfernt werden. Seit eineinhalb Jahren trägt Brettbacher nun eine Nasenepithese, eine Oberkieferprothese und ein Zwischenteil zum Abdichten der Nasenhöhle und besseren Verteilung des Luftstroms. Alle drei bis vier Monate muss er zur Kontrolle ins Linzer AKH. Seit der letzten Operation ist der Tumor nicht mehr wiedergekommen, die Prognose ist gut. 

Epithesen bekommt man nur in Linz

Das zahntechnische Labor im Linzer AKH ist einzigartig: Patienten aus ganz Österreich werden von den anderen Krankenhäusern nach Linz geschickt, weil nur hier eine epithetische Versorgung möglich ist. Österreichweit gibt es fünf neue Patienten im Jahr. Die künstlichen Gesichtsteile müssen alle zwei Jahre erneuert werden, weil sich das Silikon verfärbt und die Ränder sichtbar werden. Wie etwa bei Alois Brettbacher. "Alle zwei Jahre zu wechseln, ist wirklich die längste Zeitspanne, die möglich ist. Die Epithese ist nämlich schon von weitem zu sehen, die Ränder fallen deutlich auf", sagt Brettbacher. Am Anfang war seine neue Nase noch unauffällig, jetzt spüre er die Blicke der Menschen. "Das ist schon sehr belastend", sagt er. 

Brettbacher holt eine kleine Box aus seiner Tasche: darin befinden sich allerhand Reinigungsutensilien und Wundsalben, wenn die Haut durch die Epithese gereizt wird. "Die Box habe ich immer dabei, damit kann ich zum Beispiel meine Nebenhöhlen reinigen, wenn sich Sekret ansammelt", sagt er.

Die Gesichtsteile müssen täglich gereinigt werden, ansonsten werden sie nie abgelegt. Würde er die künstliche Nase über Nacht ablegen, würden nämlich nicht nur die Schleimhäute austrocknen - das Gesicht würde wegen des Narbenzugs regelrecht anfangen zu schrumpfen und es daher schwierig machen, Epithese und Oberkieferprothese wieder einzusetzen. Deswegen trägt Brettbacher auch einen von seinem Sohn angefertigten "Epithesenträger"-Ausweis bei sich, ähnlich einem Blutspenderausweis: "Wenn mir etwas passieren sollte und ich im Krankenhaus liege, sollte das Personal genau Bescheid wissen", sagt er. 

Zurück ins Leben

Mit seinem neuen Gesicht hat Brettbacher sich erst anfreunden müssen. Als er sich zum ersten Mal ohne Prothese und Epithese im Spiegel gesehen habe, habe er geglaubt, er schaffe es nicht, so zu leben. Inzwischen hat er die Scheu vor seiner künstlichen Nase und seinem Gesicht verloren. Spontan und sehr routiniert greift er sich ins Gesicht, legt zuerst seine Nase ab, dann das Zwischenstück, das die Nasenhöhle abdichtet. Dahinter klafft ein großes Loch, die Schleimhäute leuchten rot. 

Seine soziale Umgebung wisse zwar über seine Epithese Bescheid, frage aber nicht genauer nach. "Manchmal hat man als Betroffener aber schon das Bedürfnis, darüber zu reden, wie es einem geht. Es kann sich ja niemand vorstellen, wie das Gesicht ohne Nase und Oberkiefer aussieht", sagt er. Am Anfang habe er sich noch gefürchtet, unter die Menschen zu gehen. Gerade das Provisorium habe nicht so gut ausgesehen. Mit der frisch angefertigten, implantatgetragenen Epithese allerdings habe er sich wieder überwinden können, in die Öffentlichkeit zu gehen.

Für diese musste er allerdings die Materialkosten bezahlen - bei ihm beliefen sich die Kosten auf 2000 Euro, weil vier Magnete von der Firma gespendet wurden. Eine Situation, die Brettbacher nicht versteht: "Jeder Patient, dem etwas amputiert wurde, hat Anspruch auf eine Prothese, aber eine neue Nase wird von der Krankenkasse nicht bezahlt." (Sophie Niedenzu, derStandard.at, 2.10.2012)