Bild nicht mehr verfügbar.

Inselstreit: Ein Werbesujet in der New York Times

Foto: REUTERS/Shannon Stapleton

Jede Woche gibt es in Kunming einen Filmabend, bei dem mehr oder weniger unabhängige oder sonst wie wichtige chinesische Filme gezeigt werden. Vergangene Woche, es war der 18. September, kam der Newsletter mit folgendem kurzen Hinweis: "Heute Abend antijapanische Demo in der Wenlin-Straße, sollte unserem Filmabend keine Probleme machen, aber vielleicht lasst ihr eure Japan-Flaggen besser zu Hause ... Kaffee und Tee gibt es wie immer." Kein Einziger in der Mailingliste äußerte sich dazu, keiner fand es komisch und niemand fragte nach. Anti-japanische Meinungsbekundungen sind in den vergangenen Monaten so normal geworden, dass sie fast schon eine Institution sind.

Dabei ist Kunming eine Provinzhauptstadt weit weg vom nationalen Geschehen, in der die meisten Leute nicht wirklich an Politik interessiert sind und noch viel weniger an dem, was in Peking passiert. Und dennoch lassen sich gerade immer mehr junge Leute hineinziehen in eine Agitation gegen den vermeintlichen Feind.

Wahrt man so sein Gesicht?

Die Kommentatoren sind sich einig, dass Peking gar nicht anders konnte, als auf den Kauf der Diaoyu-Inseln durch Japan zu reagieren, um sein Gesicht zu wahren. Schwach wäre es sonst erschienen, und dann könnte Japan sich ja einbilden, es könne alles tun in der Region. Doch langsam werden solche Begründungen lächerlich, denn China hat es sich mit so ziemlich jedem Nachbarn in der Region in den letzten Jahren verscherzt.

Egal ob mit Vietnam, den Philippinen oder gar Indonesien, überall fängt die Regierung teilweise aggressive Konfrontationen an. Und jedes Mal stachelt sie den Unmut des Volkes gezielt durch Medienberichte über das Vorgehen der Gegenseite an. Immer öfter finden in den vergangenen Jahren Demonstrationen vor Botschaften oder entsprechenden Gebäuden mit symbolischem Flaggenverbrennen und Slogans statt. Wenn die Regierung nicht dahinter stünde, könnte es so etwas nicht geben, denn ansonsten wird jede Versammlung innerhalb kürzester Zeit aufgelöst.

Woher kommen diese so plötzlich geduldeten, wenn nicht gar selbst organisierten Demonstrationen, wenn nicht von der Regierung selbst? Und sind sie nicht nur schlicht und einfach ein gelungenes Ablenkungsmanöver, der aktuelle Inselstreit eine Umleitung des Unmuts des chinesischen Volkes, das mit so vielen innenpolitischen Schwierigkeiten zu kämpfen hat?

Und davon auch noch ein Stück!

Die Liste der territorialen Besitzansprüche der chinesischen Regierung ist lang und wird immer länger; praktisch keine der nationalen Grenzen wird wirklich anerkannt, überall will man noch ein möglichst großes Stück. Keine Insel im Südchinesischen Meer ist vor dem Anspruch der Regierung sicher, auch wenn sie tausende Kilometer von der eigenen Küstenlinie entfernt liegt.

Wo ist die Harmonie geblieben?

Das Vorgehen gegen Japan schadet China selbst gewaltig. Der Ruf, den es dadurch in Asien bekommt, ist nicht gerade der einer harmonisierenden Großmacht, zumal die Nachbarstaaten zwischen Erleichterung und Sorge schwanken - zwischen "Jetzt sind sie wenigstens mit jemand anderem beschäftigt" und "Aber bald sind wir dran, wenn sie sich schon so mit Japan anlegen".

Nein, das gegenwärtige Vorgehen hat nichts zu tun mit Regierungsslogans von harmonischen Gesellschaften, die allerorts in China plakatiert werden. Aber vielleicht ist die harmonische Gesellschaft für die Regierung nur für die eigenen Staatsangehörigen eine Maxime. Seit Monaten steigert sich die Aggression gegen Japaner in China.

Schon im vergangenen Jahr passierte es in meinem Sprachunterricht immer wieder, dass chinesische Lehrer spontan mit japanischen Mitschülern vermeintlich objektiv über politisch aufgeladene Themen wie den Inselstreit und den Vorfall von Nanjing zu reden begannen, um dann doch nur nationalistische Propagandareden zu schwingen. Mittlerweile bin ich wirklich froh, dass meine japanischen Mitstudenten sich nicht mehr in China aufhalten. (An Yan, daStandard.at, 3.10.2012)