Wien - Das Prinzip von Ursache und Wirkung ist tief in unserem Verständnis der Welt eingebettet - die Konsequenzen einer Handlung können nur nach der Handlung selbst einsetzen. Wenn ein Ereignis A eine Wirkung B verursacht, kann umgekehrt B nicht A verursachen.

In der Welt der Quantenmechanik sind aber auch Umstände vorstellbar, in denen ein einzelnes Ereignis zugleich Ursache und Wirkung eines anderen Ereignisses sein kann. Theoretische Physiker der Universität Wien und der Universite Libre in Brüssel haben nun in der Fachzeitschrift "Nature Communications" eine Arbeit vorgelegt, in der sie beschreiben, dass die Abfolge von Ereignissen nicht immer klar definiert sein muss.

Superposition

Aufgrund des außergewöhnlichen Quanteneffekts der "Superposition" wird es möglich, dass in der Quantenwelt auch die kausale Reihenfolge infrage gestellt wird. Gemäß den Gesetzen der Quantenmechanik können Objekte ihre wohldefinierten klassischen Eigenschaften verlieren, sodass etwa ein Teilchen nicht mehr genau lokalisierbar ist und zugleich an zwei unterschiedlichen Orten sein kann - zwei Zustände überlagern sich.

"In der klassischen Physik haben wir immer eine wohldefinierte Zeitanordnung der Effekte und wir wissen, dass ein Effekt nur eine Wirkung in die Zukunft haben kann", so Caslav Brukner von der Gruppe Quantenoptik, Quantennanophysik und Quanteninformation der Uni Wien. In der Quantenphysik "haben wir aber auch immer Möglichkeiten, uns Zustände auszudenken, die Überlagerungen von klassischen Situationen entsprechen".

Alice, Bob und die Quanten

Die Physiker illustrieren diesen möglichen Zustand so: Eine Person namens Alice betritt ein Zimmer und findet dort ein Stück Papier vor. Alice liest das Papier, radiert die Schriftzüge aus und schreibt ihre eigene Botschaft auf das Papier nieder. Eine zweite Person, Bob, die dasselbe Zimmer zu einem anderen Zeitpunkt betritt, befolgt das gleiche Prozedere: Bob liest, löscht und schreibt eine Nachricht auf das Papier. Falls Bob den Raum nach Alice betritt, wird zwar er die Botschaft von Alice lesen können, aber Alice hat keine Möglichkeit, Bobs Nachricht zu kennen. In diesem Fall ist das Verfassen der Botschaft durch Alice die "Ursache" und die von Bob gelesene Botschaft die "Wirkung". Jedes Mal, wenn die beiden den Vorgang wiederholen, wird nur eine der beiden Personen die Nachricht des anderen lesen können.

Brukner und seine Kollegen Ognyan Oreshkov und Fabio Costa haben sich die Frage gestellt, ob der Zustand der Superposition auch auf "die Überlagerung zweier kausaler Reihenfolgen" angewandt werden kann. Ist es also möglich, dass Alice eine Information an Bob schickt und "in gewissem Sinn gleichzeitig Bob eine Information an Alice sendet", fragten sich die Physiker. Wenn dem so ist, "wäre die zeitliche Anordnung, genauso wie der Ort, nicht voll definiert". Wenn also Alice und Bob statt eines gewöhnlichen Blatt Papiers ein Quantensystem zur Verfügung haben, um ihre Nachricht zu hinterlassen, kann in der Theorie folgende Situation eintreten: Jede der beiden Personen kann Teile der Botschaft lesen, die die andere Person geschrieben hat. Tatsächlich hat man eine Superposition der beiden Situationen: "Alice betritt das Zimmer als Erste und hinterlässt ihre Nachricht vor Bob" und "Bob betritt das Zimmer als Erster und hinterlässt seine Nachricht vor Alice".

"Causal Game"

Die Forscher haben sich nun eine neue Methode ausgedacht, wie man aufgrund von Messergebnissen feststellen könnte, dass dem auch tatsächlich so ist. Ihre "Causal Game" genannte Methode würde es theoretisch ermöglichen, "zu zeigen, dass wir eine neue Art der Quantenkorrelation sehen, die bei wohldefinierten Zeitabläufen nicht beschreibbar wäre". Die Gedankenexperimente der Wissenschafter basieren auf einer "Erweiterung der Standardformulierung der Quantenmechanik um die Komponente der zeitlichen Abläufe", die mit den Grundannahmen konform gehe.

"Natürlich bleibt die Frage offen, ob man das tatsächlich in einem Experiment oder der Natur sehen kann", so Brukner. Diese Überlegungen tatsächlich in ein Experiment zu übertragen, sei jedoch denkbar schwierig, da man sich bereits bei der sprachlichen Beschreibung für die Experimentalphysiker einer "kausalen Sprache" bedienen müsse. Brukner: "Damit bin ich schon gefangen, weil ich ja behaupte, dass wir Zusammenhänge haben, die auf diese Weise nicht erklärbar sind. Deshalb ist mir noch nicht ganz klar, wie wir das experimentell beweisen können - natürlich haben wir aber einige Ideen dazu." (APA/red, derStandard.at, 2. 10. 2012)