Tiflis - Bei der Parlamentswahl in Georgien hat die Opposition um den Milliardär Bidsina Iwanischwili (Bidzina Ivanshvili) nach Auszählung fast aller Stimmen klar gewonnen. Nach Auszählung von 97 Prozent der Wahlkreise kam Iwanischwilis Bündnis Georgischer Traum bei den 77 nach Verhältniswahlrecht vergebenen Sitzen laut Wahlkommission auf 55 Prozent der Stimmen. Die Vereinte Nationale Bewegung von Präsident Micheil Saakaschwili (Mikheil Saakashvili) erreichte 40,2 Prozent.

Auch bei den 73 Mandaten, die nach Mehrheitswahlrecht bestimmt werden, schien die Opposition deutlich vor der bisherigen Regierungspartei zu liegen. In ihrer Hochburg Tiflis gewann sie alle zehn Direktmandate.

Saakaschwili (44) hat seine Niederlage eingeräumt. Er will mit seiner Partei in die Opposition gehen. Iwanischwili (56) dagegen will das Land künftig als Ministerpräsident - wie auch Saakaschwili - in die EU und die NATO führen. Er rief Saakaschwili zum Rücktritt auf: Dies wäre jetzt die "einzig richtige Entscheidung", sagte der Oppositionsführer am Dienstag, der vom Staatschef als Regierungschef nominiert werden muss.

"Keiner der bisherigen Minister wird übernommen"

Noch am Mittwoch sollten erste Gespräche zur Regierungsbildung stattfinden. Iwanischwili kündigte ein völlig neues Kabinett an. "Keiner der bisherigen Minister wird übernommen", sagte er. Saakaschwili hatte vor allem junge Persönlichkeiten um sich versammelt, die wie er in den USA studiert haben. Am 20. Oktober werde das neue Parlament erstmals tagen; Ende Oktober solle die neue Regierung stehen.

Bis zur Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr steht Georgien somit eine schwierige Zusammenarbeit zwischen den beiden politischen Lager bevor. Saakaschwili hat allerdings versichert, die neue Mehrheit im Parlament bei dem Prozess der Regierungsbildung zu unterstützen. Seine Partei werde in der Opposition "weiter für die Zukunft des Landes kämpfen", sagte er zugleich.

Iwanischwili kündigte "korrekte Arbeitsbeziehungen" mit Präsident Saakaschwili an, der aber noch bis 2013 amtiert. Der bisherige Parlamentspräsident David Bakradse (Bakradze) warf Iwanischwili vor, mit seiner Forderung nach einem Rücktritt Saakaschwilis "schlechten Stil" bewiesen zu haben und wies die Forderung zurück.

Russland begrüßt Wahlausgang

Russland begrüßte den Sieg der Opposition und äußerte die Hoffnung auf eine Normalisierung der Beziehungen. Ministerpräsident Dmitri Medwedew zeigte sich erfreut über das Ergebnis. Er hoffe, das neue Parlament werde "konstruktivere und verantwortungsvollere Kräfte" enthalten. Die beiden Nachbarstaaten unterhalten seit dem fünftägigen Krieg um die von Tiflis (Tbilisi) abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien im Sommer 2008 keine Beziehungen mehr.

Iwanischwili hatte am Dienstag gesagt, er wolle weiterhin den Beitritt Georgiens zur NATO und EU anstreben, sich aber zugleich um eine Annäherung an Russland bemühen. Iwanischwili hat sein Vermögen in Russland gemacht und gilt als Kreml-freundlich. Allerdings dürfte auch seine Regierung am Anspruch Georgiens auf Südossetien und Abchasien festhalten, die Russland als unabhängig anerkannt hat und wo tausende russische Soldaten stationiert hat.

Postives internationales Echo

Der Ablauf der Wahl wurde international positiv bewertet. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), welche die Wahlen überwacht hatte, sprach von einem "wichtigen Schritt" für die Demokratie, auch wenn "einige Schlüsselprobleme" zu lösen blieben. Das Weiße Haus nannte die Wahl einen "weiteren Meilenstein" in der demokratischen Entwicklung der früheren Sowjetrepublik und lobte den "offenen Wahlkampf" als Vorbild für die Region. Saakaschwili gilt als enger Verbündeter Washingtons. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton mahnte beide Lager zur "Zusammenarbeit im Interesse Georgiens". Das Land ist für den Westen vor allem für neue Wege des Gas- und Öltransports unter Umgehung Russlands von Interesse.

Saakaschwili kam infolge der sogenannten Rosenrevolution 2003/2004 an die Macht, als es zu Massenprotesten der damaligen Opposition nach manipulierten Parlamentswahlen unter Präsident Eduard Schewardnadse, dem zuvor letzten sowjetischen Außenminister, kam. Später kam es mehrmals zu Massenprotesten gegen Saakaschwili, dem Kritiker trotz gleichzeitigem wirtschaftlichem Aufbau in der Hauptstadt und Fortschritten beim Aufbau eines modernen Staates immer schärfer autoritäre Methoden und den verlorenen Krieg gegen Russland zum Vorwurf machten und den zuletzt auch die erstarkte Opposition und ein Skandal um die Folterung von Gefängnisinsassen schwächten.

Nach der Wahl wollte Saakaschwili, der nicht erneut für das Amt des Präsidenten kandidieren darf, nach Ansicht von Politologen seinen Posten - ähnlich wie es in Russland passiert ist - mit dem des Premiers tauschen. Das Amt des Regierungschefs wurde 2010 per Verfassungsänderung, die erst mit der nächsten Präsidentenwahl im Oktober 2013 in Kraft tritt, aufgewertet.

Ein "Urgestein" der georgischen Innenpolitik, David Gamkrelidse, erklärte unterdessen seinen Rücktritt als Chef der Neuen Rechten und von weiteren Ämtern. Die Partei hatte den Einzug ins Parlament verpasst. (APA, 3.10.2012)