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Viktor Orbán und der Turul, das "Urbild der Ungarn", das Symbol der nationalen Identität auch der noch nicht geborenen Ungarn, wie er es bei seinem jüngsten öffentlichen Auftritt nannte.

Foto: Reuters / Szábo, Ninane / Wikimedia; Montage: Ladstätter

Von ihrem Ministerpräsidenten Viktor Orbán sind die Ungarn rhetorisch einiges gewohnt. Seit gut zehn Jahren sind seine Reden meist getragen von nationalem Pathos. Seit seinem letzten Regierungsantritt 2010 drängt er Europa auch immer wieder dazu, sich seiner christlichen Werte zu besinnen. Doch die Rede, die Orbán am vergangenen Sonntag zur Einweihung eines großen Turul-Denkmals im südungarischen Ópusztaszer hielt, stellte nach Ansicht vieler Beobachter alles bisher von ihm Vernommene in den Schatten.

Warum ein Turul-Denkmal? Der Turul ist ein vogelartiges Fabelwesen, das die Ur-Magyaren aus den Tiefen Innerasiens in die Mitte Europas geführt haben soll. Er wird in mittelalterlichen Chroniken erwähnt, stieg aber erst im 19. Jahrhundert, im Zeitalter des nationalen Erwachens, zum Nationaltier der Magyaren auf. In der Zwischenkriegszeit, unter dem rechtsautoritären Reichsverweser und Hitler-Verbündeten Miklós Horthy, und am Ende des Krieges, unter dem faschistischen Regime der Pfeilkreuzler, erfuhr der Mythenvogel eine weitere symbolische Aufwertung.

Horthy-Renaissance

An die Symbolik der Horthy-Zeit scheint Orbán bewusst anknüpfen zu wollen, wie auch der gegenwärtig laufende Umbau des Parlamentsvorplatzes in Budapest zeigt, der explizit wieder so wie zur Zeit des Reichsverwesers aussehen soll. Da und dort werden bereits wieder neue Horthy-Denkmäler errichtet.

So hat jetzt auch der Turul-Vogel wieder Konjunktur, in der Lesart Orbáns nunmehr auch als Symbol für den "nationalen Zusammenhalt", was wiederum eine Chiffre für den zumindest moralischen Anspruch auf die nach dem Ersten Weltkrieg im Friedensvertrag von Trianon 1920 - dem nationalen Trauma vieler Ungarn - verlorenen Gebiete darstellt.

Spott und Besorgnis

Im "Nationalen Gedenkpark" von Ópusztaszer steht bereits ein monumentales Panoramabild des Historienmalers Árpád Feszty (1856-1914) aus dem Jahr 1894, das die "Landnahme" der Ungarn zeigt. Im Auftrag der ungarischen Regierung hat jetzt der ungarischstämmige Künstler Péter Matl aus der Karpato-Ukraine dort einen Turul mit zwei Meter Flügelspannweite und einem Schwert in den Klauen auf einer zwölf Meter hohen Säule hingestellt. Bei der Einweihung am Sonntag hielt Orbán eine Rede, die in ihrer Blut-und-Boden-Symbolik deutlich über das hinausging, was man bisher von ihm kannte (siehe "Zitiert").

Bei der ungarischen Opposition wurde die Rede großteils spöttisch-ironisch kommentiert, rief aber auch Besorgnis hervor. Die Publizistin Zsófia Mihancsik gab zu bedenken: "Wenn der erste Mann der Staatsmacht an die Stelle der politischen Gemeinschaft den ,Blutbund' setzt (...), dann bereitet er - gewollt oder ungewollt - den Bürgerkrieg vor."

Orbáns distanzierte Haltung zur EU scheint sich indessen durch eine weitere Entscheidung zu bestätigen. Sein Sprecher Bertalan Havasi sagte am Mittwoch der amtlichen Nachrichtenagentur MTI, der Premier werde sich kein weiteres Mal um die Vizepräsidentschaft in der Europäischen Volkspartei bewerben. (Gregor Mayer, DER STANDARD, 4.10.2012)