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Ein Präsident und sein Herausforderer bei der ersten TV-Debatte in Denver.

Foto: EPA/Reynolds

Die Reaktionen sind eindeutig: Mitt Romney hat die erste TV-Debatte gegen Barack Obama für sich entschieden. Der Republikaner sei moderat, energisch und angriffslustig gewesen, so die Kommentatoren, der US-Präsident hingegen nervös, passiv und gelangweilt. Zum Teil haben diese Urteile ihre Berechtigung, doch spielt auch die Erwartungshaltung eine Rolle. Und der zufolge konnte Romney eigentlich nur gewinnen.

Die Erwartungen waren folgende: Bei Mitt Romney befürchtete man den nächsten Wahlkampf-Ausrutscher, alles andere wäre schon ein Erfolg. Von Obama erwartete man schlicht und einfach, dass er seinen Kontrahenten in Grund und Boden redet. Geschehen ist weder das eine noch das andere.

Romney, der bisher als hölzern und uncharismatisch galt, wirkte in den 90 Minuten von Denver überraschend sympathisch und warmherzig. Er spottete diesmal nicht über die Hälfte der Wahlberechtigten, er wich auch allen anderen potenziellen Fettnäpfchen aus, während er immer wieder die angeblichen Versäumnisse des Präsidenten erwähnte. Gleich zu Beginn der Debatte sprach er von einem "erfolglosen Pfad", den Obama beschritten habe. Eine weitere Amtszeit für ihn, und den USA drohe "chronische Arbeitslosigkeit" und ein "Auspressen der Mittelschicht".

Diese Attacke war zu erwarten, genauso wie Romneys Kritik an Obamas politischem Herzstück, der Gesundheitsreform. Auf dem falschen Fuß erwischte Romney den Präsidenten allerdings, als er Pläne vortrug, die seinen bisherigen Aussagen vollkommen widersprechen. Plötzlich setzte er sich für eine Finanzmarktregulierung ein, plötzlich wollte er von sozialen Einschnitten und Steuersenkungen für Wohlhabende nichts mehr wissen: "Ich plane keine Steuersenkungen, die zum Defizit beitragen." Und als Romney mit Zahlen um sich warf, die keinem Fact Check standhalten würden ("Mister President, Sie wollen 700 Milliarden Dollar aus dem Gesundheitsvorsorgeprogramm Medicaid streichen"), auch da blieb Obama stumm.

Ein leichter Hauch von Attacke

Dass Romney bei seinen Ausführungen immer sehr vage blieb, dürfte Moderator Jim Lehrer und Obama nicht gestört haben, Widerspruch gab es kaum. Nur einmal erwiderte Obama den Schwenk seines Kontrahenten, als er zu Romneys neuen Steuerplänen meinte: "Fünf Wochen vor der Wahl sagt er, seine große Idee sei nun egal." Ansonsten blieb er sehr zurückhaltend, nagelte Romney nicht fest. Gründe dafür gibt es mehrere.

Offensichtlich war, dass Obama staatsmännisch wirken wollte. Er verzichtete beispielsweise darauf, in Romneys Bain Capital- und 47 Prozent-Wunden zu rühren, stattdessen präsentierte er sich wie auf dem Demokratischen Parteitag als demütiges Staatsoberhaupt ("Ich war kein perfekter Präsident"). Er setzte auf nüchterne Inhalte und verzichtete darauf, zu große Versprechungen zu machen.

Dass Obama diese zurückhaltende Taktik gewählt hat, liegt vermutlich auch daran, dass er sich in Umfragen einen knappen, aber doch komfortablen Vorsprung auf Romney erarbeitet hat. Diesen zu verteidigen, das war wohl Obamas oberste Devise. Schließlich, so besagt ein alter Spruch unter Experten, kann man bei TV-Debatten keine Wahl gewinnen, sie aber sehr wohl verlieren. Aus dieser Perspektive betrachtet kann also auch Obama die erste TV-Debatte als Erfolg verbuchen.

Obama und sein Ehrgeiz

Ob die TV-Debatten tatsächlich signifikante Auswirkungen auf das Wahlergebnis des 6. November haben werden, darüber herrscht Uneinigkeit. Viele Wähler, wird oft argumentiert, hätten sich schon längst entschieden, wem sie ihre Stimme geben werden. Fakt aber ist, dass Obama für seinen großen Ehrgeiz bekannt ist. Und dass ihm die öffentliche Wahrnehmung des TV-Duells inklusive spöttischer Kommentare ("Schade, dass der Präsident nicht zur Debatte gekommen ist") sicherlich nicht entgangen ist, zumal sogar seine eigene Sprecherin Jennifer Psaki meint: "Romney hat Punkte im Stil gewonnen. Er war vorbereitet."

Der Präsident wird mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer offensiveren Taktik die nächste TV-Debatte am 16. Oktober bestreiten. Und Romney wird darauf reagieren müssen. Die 90 Minuten von Denver sorgen also zumindest dafür, dass der zuletzt etwas eingeschlafene US-Wahlkampf wieder an Fahrt gewinnt. (Kim Son Hoang, derStandard.at, 4.10.2012)