Thomas Danecker kämpft gegen die neuen Regeln bei der Studieneingangsphase für Informatik an der TU Wien.

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"Wir besorgen uns die Prüfungsfragen, und alle schaffen die Prüfung mit der vollen Punktezahl", liest Tamara vor. Gelächter im Hörsaal, manche Klopfen auf die Tische, Arme schnellen in die Höhe. Rund 50 Studierende haben sich am Dienstag im Hörsaal EI 9 der Technischen Universität Wien eingefunden, um den Widerstand gegen neue "Knock-out-Prüfungen" in Informatik zu organisieren.

Tamara ist Mitglied der Fachschaft Informatik und liest gerade die vielen Ideen der Studierenden vor, die in konkrete Maßnahmen münden sollen. Einen Hackangriff auf die Homepage der Fakultät wird es wohl nicht geben. Eine Mailflut an den zuständigen Dekan, Schadenersatzklagen und Medienaktionen sind allerdings bereits geplant.

Als die "schärfste Studieneingangsphase auf der TU Wien und womöglich in ganz Österreich" bezeichnet Thomas Danecker, Studienvertreter für Informatik, den Studienbeginn für seine Kommilitonen. Tatsächlich nutzt die Fakultät die Studieneingangs- und Orientierungsphase (STEOP) dazu, die Studienplätze zu beschränken. Obwohl es eigentlich keine offiziellen Zugangsbeschränkungen gibt.

Zu wenige Ressourcen

Laut der Fakultät für Informatik reichen die Ressourcen nur für 420 Studienplätze. Deshalb müssen die Studienanfänger bereits vier Wochen nach dem Studienbeginn Prüfungen in allen Lehrveranstaltungen der Studieneingangsphase ablegen. Im Wintersemester dürfen nur die besten 375 Studenten die Vorlesungen oder Übungen weiterbesuchen. Der Rest muss sich im nächsten Semester wieder zu der Lehrveranstaltung anmelden und die Prüfungen noch einmal versuchen.

Im Sommersemester können überhaupt nur die 125 besten Studenten nach der ersten Prüfung die Übungen und Vorlesungen absolvieren. Für jene Studenten, die die Prüfungen nicht schaffen, sind insgesamt 80 Plätze reserviert.

Rückstau befürchtet

Ob das reichen wird, ist allerdings fraglich. Laut den Studentenvertretern haben sich im Wintersemester 2011 für die Lehrveranstaltung "Technische Grundlagen der Informatik" 977 Studenten angemeldet. Insgesamt wird es nach den Berechnungen der ÖH rund 600 Studienanfänger an der Informatik geben. Studierendenvertreter Danecker erwartet einen großen Rückstau von Studierenden, die die Prüfung wiederholen müssen und die Lehrveranstaltungen deshalb in den kommenden Semsestern noch einmal besuchen.

Klagen geplant

Bei der Informationsveranstatlung am Dienstag fordert die ÖH deshalb die Studenten dazu auf, gegen die Prüfungen zu klagen, wenn sie den Test nicht schaffen. "Euch entsteht ein Schaden, weil ihr mindestens ein Semester später zum Arbeiten anfangen könnt", sagt Danecker.

Unter den Zuhörern sitzt auch Alexander. Er ist 20 Jahre alt und hat gerade mit dem Informatikstudium begonnen. Er weiß erst seit seinem Studieneingangsgespräche (siehe Wissen), welche Prüfungsbedingungen ihn erwarten. "Es ist sehr schwierig, weil man nicht weiß, auf welche der Prüfungen man sich konzentrieren soll", sagt er. Alexander hat sich vorsorglich für alle Kurse angemeldet.

Hälfte aller Informatikstudierenden

Der Dekan der Informatik-Fakultät, Gerald Steinhardt, kann nachvollziehen, dass den Studierenden die derzeitige Situation nicht gefällt. "Sie gefällt mir auch nicht, aber meine Verantwortung ist es, dass die Studierenden eine Ausbildung in der entsprechenden Qualität bekommen", sagt er.

Im Gespräch mit derStandard.at erklärt Steinhardt, dass die neue Vorgangsweise in den Lehrveranstaltungen des ersten Studienjahres wegen mangelnder Ressourcen eingeführt wurde. "Unsere Fakultät ist in der Forschung sehr gut positioniert und auch in der Lehre sehr stark nachgefragt", sagt er. An der TU Wien werde die Hälfte aller Informatikstudierenden in Österreich ausgebildet. "Wir haben aber zu wenig Ressourcen, um alle Interessierten ausbilden zu können."

Danecker kann die Argumentation des Dekans nicht nachvollziehen. Seiner Meinung nach könnte die Universität durchaus mehr Studierende in den einzelnen Lehrveranstaltungen zulassen. "Wir sind für ein längerfristig besseres Betreuungsverhältnis", sagt der Studentenvertreter.

Kritik von Töchterle

Auch Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle ist mit der Situation an der Informatik-Fakultät nicht zufrieden. "Wenn die STEOP verwendet wird, um einer großen Anzahl von Studienbeginnern und -beginnerinnen in besonders nachgefragten Fächern Herr zu werden, entspricht das nicht ihrer Intention und kann auch nicht das Ziel sein", erklärt er in einer Stellungnahme gegenüber derStandard.at.

Zugangsbeschränkungen geplant

Töchterle betont einmal mehr, dass in besonders stark nachgefragten Fächern "transparente Zugangsregeln" notwendig seien. Derzeit laufen dazu Verhandlungen mit der SPÖ, die bald abgeschlossen sein sollen. Wie "Die Presse" berichtet, sollen für die Studienrichtungen Architektur, Pharmazie, Biologie, Wirtschaftswissenschaften und eben auch Informatik Zugangsbeschränkungen eingeführt werden. Dabei sollen die Universitäten selbst festlegen, wie viele Studenten sie aufnehmen können.

Werbung für "Mint"-Fächer

Dass die Kapazitäten an der Fakultät für Informatik in Wien nicht ausreichen, ist vor allem deshalb skurril, weil das Wissenschaftsministerium bei den Studierenden immer wieder für die "Mint"-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) wirbt. "Studieren, was nicht alle studieren", heißt es auf der dazugehörigen Homepage. Dekan Steinhardt sagt dazu: "Es ist ein Widerspruch erst zum Informatik-Studium zu ermuntern und dann zu wenig Ressourcen zur Verfügung zu stellen".

Studentenvertreter Danecker erklärt, dass immer mehr Studierende ihr Studium abbrechen würden, weil die Situation an der Universität so schlecht sei. Einen Job fänden die meisten von ihnen noch während des Studiums. Schließlich sei die Nachfrage der Wirtschaft nach Informatikern sehr hoch. (Lisa Aigner, derStandard.at, 4.10.2012)