Bad Hofgastein - Nicht die Zahl der gelebten Jahre entscheidet, wie alt wir sind, sondern unsere körperliche Verfassung. "Maßnahmen, die den biologischen Prozess des Alterns verzögern können, sollte höchste Priorität eingeräumt werden. Das biologische Alter zu verlangsamen, muss zum Gesundheitsparadigma des 21. Jahrhunderts werden", forderte Jay Olshansky von der School of Public Health der Universität Illinois in Chicago beim European Health Forum Gastein (EHFG). Der US-Forscher schlug eine neue Strategie vor, um den möglichen negativen Folgen der ständig steigenden Lebenserwartung - wie höhere Kosten durch vermehrte Pflegebedürftigkeit - wirksam zu begegnen: "Wir müssen herausfinden, warum es zu den biologischen Veränderungen kommt, die im Alter unsere Gesundheit beeinträchtigen, und dann gezielt intervenieren. Das wäre sicher zielführender, als, wie es jetzt üblich ist, altersbedingte Krankheiten und Behinderungen einzeln anzugehen, als hätten sie keine gemeinsame Ursache." 

Bremse für den Alterungsprozess

Aktuelle Erkenntnisse der sogenannten "Biogerontologie", einer Disziplin zur Erforschung der menschlichen Alterung, zeigen, dass sich Alterungsprozesse tatsächlich verzögern lassen. Neuere Forschungen im Bereich Genetik und vergleichender Biologie bestätigten die großen Analogien beim Alterungsprozess von Tier und Mensch. Das liefert entscheidende Hinweise auf der Suche nach Interventionen, die das Altern verzögern können. "Biogerontologen können inzwischen viel mehr, als nur das Altern von Zellen, den Zelltod, die Rolle freier Radikale oder von Telomerverkürzung zu beschreiben. Sie sind in der Lage, die molekularen Grundlagen und Zellfunktionen zu beeinflussen. Diese jüngsten wissenschaftlichen Durchbrüche haben absolut nichts mit den Versprechungen von Geschäftemachern zu tun, die Anti-Ageing-Produkte anpreisen. Es gibt bislang keine überprüften Therapien oder Produkte, die das Altern verlangsamen, stoppen oder gar rückgängig machen können", betonte Olshansky. 

Was es hingegen gibt, ist eine Vielzahl neuer Erkenntnisse: Erwiesen ist inzwischen etwa, dass Altern kein unveränderlicher, von der Evolution vorprogrammierter Prozess ist, wie lange angenommen wurde. Das Wissen darüber, wie, warum und wann die Alterungsprozesse stattfinden, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vervielfacht. Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass heute lebende Menschen noch von den Erkenntnissen dieses Forschungszweigs profitieren können, sofern er ausreichend gefördert wird. "Die Altersforschung hat das Potenzial zu bewirken, wozu kein Medikament, kein chirurgischer Eingriff und keine Lebensstiländerung imstande ist: Mehr Lebensjahre bei guter Gesundheit zu erreichen und kostspielige Krankheiten und Behinderungen, die das Altern mit sich bringen, hinauszuschieben", so Olshansky.

Gesundheitsökonomischer Nutzen

Das Bündel an sozialen, ökonomischen und gesundheitlichen Vorteilen, die sich dadurch für den Einzelnen und für die Gesellschaft ergeben würden, fasste der Experte unter dem Begriff "Langlebigkeits-Dividende" zusammen: "Mehr gesunde Jahre, das bedeutet auch längere Erwerbstätigkeit, mehr Einkommen und Ersparnisse, ein geringerer Druck auf Pensionssicherungssysteme sowie geringere Ausgaben für die Krankenversorgung und Pflege älterer Menschen", so Olshansky. 

Die Voraussetzung für eine Verlangsamung des Alterns seien bereits heute gegeben: „Die Erforschung technischer Möglichkeiten, die es erlauben, in die biologischen Prozesse des Alters einzugreifen, läuft. Wir müssen sicherstellen, dass die daraus entwickelten Interventionen rasch auf breiter Basis verfügbar werden", so Prof. Olshansky beim EHFG. Als realistisches Ziel definiert der Experte eine bescheidene Verlangsamung des Alterungsprozesses, die ausreichen würde, um alle altersbedingten Krankheiten und Behinderungen um sieben Jahre hinauszuzögern: "Das würde größere Vorteile im Gesundheitsbereich bringen als die Beseitigung aller Krebs- oder Herzkrankheiten." 

Um sieben gesunde Jahre Leben dazuzugewinnen, müsse aber in die entsprechende Forschung mehr investiert werden. "Verglichen mit den gigantischen Ausgaben, die bereits in die Gesundheitsversorgung und Pflege Älterer gesteckt werden müssen, wären Investitionen in die ‚Langlebigkeits-Dividende‘ jedoch bescheiden", so der Experte. Da eine länger gesund lebende Bevölkerung deutlich mehr zum Wohlstand beiträgt, würde sich das Investment auf Dauer sogar selbst finanzieren. Olshansky fordert, einen Teil der öffentlichen Gesundheitsbudgets für diesen Zweig der Forschung zweckzubinden. 

Kostendruck durch altersbedingte Krankheiten 

Dass neue Wege bei der Bewältigung des demografischen Wandels beschritten werden müssen, liege auf der Hand, rechnete der US-Forscher am Beispiel demenzieller Erkrankungen vor: "Die Zahl der von Alzheimer betroffenen US-Bürger wird von vier Millionen heute auf 16 Millionen bis 2050 ansteigen. Das heißt, es wird mehr Demenzkranke in den USA geben als Australien Einwohner hat". Weltweit wird die Zahl der Alzheimer-Patienten bis 2050 auf 45 Millionen ansteigen, wobei drei von vier Patienten in einem Entwicklungsland und zwölf Millionen in Europa leben werden. Bis 2050 werden in den USA die Kosten für die Behandlung von Alzheimer auf eine Billion Dollar pro Jahr ansteigen. Neben Alzheimer verschlingen auch andere mit zunehmendem Alter verstärkt auftretenden Leiden wie kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes oder Krebs große Anteile des Gesundheitsbudgets. Die Anzahl alter Menschen in China und Indien wird bis 2050 die Anzahl der Gesamtbevölkerung der USA übersteigen." (red, 4.10.2012)