22 Kinder wurden bisher in der Babyklappe im Wiener Wilhelminenspital abgegeben. In Graz und Oberösterreich wird das Angebot der sicheren und anonymen Kindesweglegung kaum genutzt.

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Linz/Graz/Wien - Findelkind Nikola ist jetzt in der Obhut von Pflegeeltern. Am Donnerstag konnte das Mädchen die Kinderklinik in Linz verlassen. Vor zehn Tagen wurde das Kind kurz nach der Geburt vor der Ordination eines praktischen Arztes im Vorort Leonding weggelegt. Von den Eltern fehlt bisher noch jede Spur. Ende Juli legte in Linz eine Frau nach der Entbindung ihr Kind in einem Buswartehäuschen ab. Dem Anschein nach wollten die Mütter, dass die Säuglinge gefunden werden, in eine Babyklappe haben sie die Kinder jedoch nicht gegeben.

Seit 2001 gibt es an oberösterreichischen Spitälern diese Klappe, auch Babynester genannt. In den vergangenen zehn Jahren wurden fünf Kinder hineingelegt. Johanna Winkler, Psychiaterin an der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg in Linz, meint, dass in Oberösterreich die Existenz dieser Nester nicht ausreichend bekannt sei. Auf sie gehöre offensiver hingewiesen.

Mehr anonyme Geburten

Ein weiterer Grund, warum die Klappen kaum genutzt werden: "Kindesweglegung ist eine Verzweiflungstat oft im Affekt, professionelle Hilfe wird von diesen Müttern nicht in Anspruch genommen." Dies gelte, wenn etwa die Schwangere aus dem Drogenmilieu komme oder aber junge Mütter ihrer ungewollte Schwangerschaft geheimhalten wollen, erklärt die Primaria. Treffe hingegen eine Mutter, die unbekannt bleiben möchte, den Entschluss, ihr Kind wegzugeben, wähle sie die anonyme Geburt. 29 Frauen entschieden sich in Oberösterreich seit 2002 dafür.

Diese Entwicklung ist auch in Graz festzustellen. Seit der Einrichtung der Babyklappe der Caritas bei der Geburtenstation im Grazer Landeskrankenhaus 2001 wurden erst zwei Neugeborene dort abgegeben. Viel eher nehmen Mütter, die sich nicht imstande fühlen, ihr Kind selbst aufzuziehen, das Angebot der anonymen Geburt an. Im selben Zeitraum waren es in Graz 92 anonyme Geburten, berichtet Christa Pletz, verantwortliche Bereichsleiterin der Caritas. Die Frauen stünden alle "unter Megastress, weil sie versuchen die Schwangerschaft zu verbergen", sagt Pletz.

Zwei Drittel der Frauen, die sich entschieden, anonym zu gebären und sich von ihrem Kind zu trennen, hatten bereits Kinder, die bei ihnen leben. "Das Eingeständnis an sich selbst, dass man kein weiteres Kind schafft, ist sehr schwer", weiß Pletz, "die Trennung ist auch immer sehr schwer. Auch wenn die Frauen anonym blieben, ist es ihnen möglich, sich auch später nach dem Wohlbefinden ihres Kindes zu erkundigen. "Ich erlebe das sogar sehr oft", erklärt Pletz.

Oft schlecht abgenabelt

Eine Möglichkeit, die den Kindern nicht offensteht. In Wien wurden seit dem Jahr 2000 insgesamt 22 Kinder in der Babyklappe im Wilhelminenspital abgegeben, 122 Kinder kamen zwischen 2001 und 2010 bei einer anonymen Geburt zur Welt. Der Zustand der Kinder, die in die Babyklappe gelegt werden, lasse oft auf dramatische Umstände bei der Geburt schließen, heißt es bei der Jugendwohlfahrt, die Kleinen seien schlecht abgenabelt, unterkühlt oder litten an Sauerstoffmangel.

Nichts über die eigene Herkunft erfahren zu können ist für die Kinder spätestens ab der Pubertät problematisch, wie Erfahrungen in Frankreich zeigen. Dort ist es seit den 1940er-Jahren möglich, anonym zu gebären. Die Sozialarbeiterinnen der Magelf ersuchen Frauen, die sich zur anonymen Geburt anmelden, ihren Kindern etwas dazulassen - sei es nur ein Foto oder ein kurzer Brief. (Bettina Fernsebner-Kokert/Kerstin Scheller/Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 5.10.2012)