Skifahrer Mario Scheiber, Eishockeyspieler Christoph Brandner, Snowboarderin Claudia Riegler und Beachvolleyballer Florian Gosch: Sie stehen stellvertretend für viele ehemalige Spitzensportler, die nach dem Karrieende auf Hilfe angewiesen sind. Die meisten bleiben lieber anonym. Zu groß ist das Schamgefühl, die Scheu vor dem AMS, sagt Roswitha Stadlober, Geschäftsführerin von "Karriere danach" (KADA). Über Auswege aus dem Dilemma "Beruf versus Sport" spricht die ehemalige Weltklasse-Slalomläuferin im Interview mit derStandard.at.
derStandard.at: Sie waren selbst Spitzensportlerin. Wie war bei Ihnen der Übergang vom Skilauf in einen "normalen" Beruf?
Stadlober: Zu meiner Zeit war alles noch nicht so professionalisiert, nebenbei wurde Wert auf berufliche Bildung gelegt. Es war zwar der Beginn der Stirnbandwerbung (Start war 1986, Anm.), es waren aber viel weniger Sponsoren im Spiel. Wir haben bei weitem nicht so viel verdient wie die Generation, die jetzt aktiv ist. Das Bewusstsein war vorhanden, dass es noch ein Nachher gibt und man mit den Sponsoreneinnahmen nicht ausgesorgt hat.
derStandard.at: Wie viele Sportler haben nach Karriereende ausgesorgt?
Stadlober: Wir gehen davon aus, dass um die 97 Prozent ihren Lebensunterhalt weiter bestreiten müssen.
derStandard.at: Wie viele Athleten betreut KADA momentan?
Stadlober: Das Programm "Sport mit Perspektive" besteht aus drei Säulen. Die eine Schiene ist Prävention, wo wir in den Sportschulen informieren und sensibilisieren. Der zweite Teil besteht aus der Laufbahnberatung. Hier unterstützen wir aktive Sportler aus ganz Österreich bei der Vereinbarkeit von Sport und Ausbildung, 154 werden aktuell von uns betreut. Drittens gibt es noch den Bereich des Übergangs vom Sport in Richtung Integration in den Arbeitsmarkt. Momentan sind das 35 Personen, die vorwiegend über das AMS zu uns gekommen sind.
derStandard.at: Wie muss man sich das vorstellen? Gehen Sie aktiv auf Sportler zu oder treten die Sportler mit der Bitte um Unterstützung an Sie heran?
Stadlober: Das ist unterschiedlich. Einerseits kommen manche über das AMS, die an uns weitergeleitet werden. Das sind zum Großteil Leute aus Mannschaftssportarten, etwa Fußballer, die Anspruch auf Arbeitslosengeld haben.
Der Rest kommt über Mundpropaganda beziehungsweise gehen wir offensiv auf Personen zu. Zum Beispiel Heeressportler, die aus verschiedensten Gründen aus den Heeresleistungszentren ausscheiden. KADA unterstützt sie bei der Aufbereitung eines Karriereplans für die berufliche Bildung. In den Heeressportzentren gibt es genauso Informationsvorträge wie etwa beim Sporthilfeforum, wo wir die Sportler erreichen.
derStandard.at: Wann werden Sie aktiv?
Stadlober: Manche haben eine Scheu, sich beim AMS zu melden oder sonst irgendwelche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Da müssen wir die Initiative ergreifen und ihnen eine Begleitung anbieten.
derStandard.at: Weil Sie von Scheu bei Sportlern sprechen: Ist das die Angst, auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, oder eine Art Eingeständnis von Scheitern, weil sie nicht genügend Geld verdient haben?
Stadlober: Es geht nicht primär ums Geld, auch Inhalte spielen eine wichtige Rolle. In Deutschland macht eine ehemalige Weltklasse-Schwimmerin wie Franziska van Almsick gerade das Abitur nach, die muss sich wahrscheinlich finanziell keine Sorgen mehr machen; auch der ehemalige Torhüter Oliver Kahn, der in Seekirchen die Privatuni absolviert hat. Da stehen Persönlichkeitsentwicklung und Qualifizierungsmaßnahmen im Vordergrund.
Aber die Scheu, Unterstützung in Anspruch zu nehmen, ist leider nach wie vor vorhanden. Viele Sportler sind in ihrer Region bekannt, da fällt der Gang zum AMS schwer. Sport heroisiert, negativ behaftete Sachen haben da keinen Platz. Viele verzichten lieber auf Geld, bevor sie zum AMS gehen.
derStandard.at: Wie können die in der Arbeitswelt dann überhaupt Fuß fassen?
Stadlober: Wenn der Leidensdruck immer größer wird, müssen sie irgendwann. Diese Zeit wollen wir mit KADA einfach verkürzen, indem wir Unterstützung anbieten und darauf hinweisen, dass viele mit dem gleichen Problem konfrontiert sind und dass sie vor allem die Laufbahnberatung von KADA frühzeitig in Anspruch nehmen.
derStandard.at: Wie funktioniert die Unterstützung?
Stadlober: Sobald die Sportler bei KADA sind, gibt es eine Bestandsaufnahme über die bisherige Ausbildung, ihre Ziele oder die Frage, wo in der Vereinbarkeit von Sport und Ausbildung Hilfe benötigt wird. Die Fälle sind individuell, aber auch regional komplett verschieden.
Unser Ziel ist es, dass kein betreuter KADA-Athlet den Sport ohne Ausbildung verlässt. Das ist natürlich abhängig von der Sportart, von den Trainingsbedingungen und vom Wohnsitz. Land und Wintersport sind beispielsweise schwieriger als Sommersport und Stadtnähe. Wo gibt es Angebote? Wir versuchen das maßgeschneidert auf den einzelnen Sportler zuzuschneiden.
derStandard.at: Und wenn das Angebot gefunden ist?
Stadlober: Dann begleiten wir diese Sportler in dem Prozess. Etwa indem wir uns um Unterstützung der Universitäten kümmern. Gerade Studium und Sport sind nicht so leicht zu vereinbaren. Mit manchen gibt es wöchentliche Kontakte, mit manchen monatliche. Das ist ganz unterschiedlich und auch von den Wettkampfphasen abhängig.
derStandard.at: Das heißt, diese Begleitung über KADA kann sich über Jahre erstrecken?
Stadlober: Ja. Es ist davon abhängig, wie lange die Karriere dauert. Im Idealfall zieht sich die Laufbahnberatung vom Beginn der Karriere bis zum Ende. Das können auch zehn Jahre oder mehr sein.
derStandard.at: Fallen für die Sportler Kosten an?
Stadlober: Nein, die Qualifizierungsmaßnahmen sind unsere Dienstleistung für die Sportler. Natürlich sind unsere finanziellen Mittel begrenzt. Wir können Sportlern einzelne Kurse, aber keine Pilotenausbildung zahlen. Bei Ausbildungen beispielsweise zum Heilmasseur gibt es eine Beteiligung.
derStandard.at: Sind diese Fördermaßnahmen mit Leistungsnachweisen verknüpft?
Stadlober: Ja, wir fordern zum Beispiel Teilnahmebestätigungen bei Kursen ein. Die Sportler müssen immer vorfinanzieren, erst dann wird refundiert.
derStandard.at: Sind Spitzensport und Berufsausbildung überhaupt unter einen Hut zu bringen?
Stadlober: Es ist möglich, bedarf aber großer Anstrengung. Der Fokus liegt auf dem Sport, es existiert leider eine Kluft zur Ausbildung. Wichtig ist, Vereine, Funktionäre und Trainer ins Boot zu holen, indem man Bewusstsein bildet. Der Arbeitsmarkt hat sich sehr verändert. Ich bin in eine skisportliche Handelsschule gegangen, das ist heutzutage sicher zu wenig. Eine Matura ist Standard.
derStandard.at: Was braucht es für Sportler? Mehr spezifische Berufsausbildungen?
Stadlober: Bis zur Matura sind wir in Österreich gut aufgestellt. Es gibt Sportgymnasien, die kommen aber nicht für alle in Frage. Schaffen wir hier keine Möglichkeiten zur Berufsausbildung, dann werden immer mehr dem Sport Adieu sagen. Abgesehen vom Nordischen Ausbildungszentrum in Eisenerz gibt es kaum Ausbildungen für Lehrberufe.
derStandard.at: Was schlagen Sie vor? Eine Sport-HTL?
Stadlober: Das wäre eine Möglichkeit. Eine normale HTL ist sehr zeitintensiv, sie lässt sich schwer mit Leistungssport vereinbaren. Wir bemühen uns um eine Aufwertung der Handelsschulen, die in Richtung Berufsreifeprüfung gehen sollen. Es braucht mehr unterschiedliche Schultypen. Der Knackpunkt kommt oft mit 18 Jahren, wo sich Sportler für oder gegen Leistungssport entscheiden müssen. Hier wollen wir uns mit KADA als Bindeglied positionieren.
derStandard.at: Nach der Schule ist meist Schluss mit der Ausbildung?
Stadlober: Wenn die Lücke nicht gefüllt wird, kommen Sportler mit 30 oder 35 Jahren auf den Arbeitsmarkt, ohne irgendetwas in der Hand zu haben. Ein Olympiasieg oder ein prominenter Name kann ein Türöffner sein, ist aber definitiv keine Jobgarantie. Das haben einige von uns erfahren müssen. Ohne Qualifikation und meist Berufserfahrung geht es nicht, die Konkurrenz um Jobs ist zu groß.
derStandard.at: Was halten Sie davon, eine Verpflichtung zur Aus- oder Weiterbildung zu verankern, wenn Athleten staatliche Sportförderung in Anspruch nehmen?
Stadlober: So eine Art Bildungspass wäre mein Wunsch, das kann aber nur auf freiwilliger Basis gehen. Die Sportler müssen das selbst realisieren. Was wir tun müssen, ist, das Angebot anzupassen, eine Durchgängigkeit zu schaffen. Das ist auch ein wichtiges Signal an Eltern, damit sie ihre Kinder beim Sport unterstützen.
derStandard.at: Eine gesetzliche Auflage lehnen Sie ab?
Stadlober: Mein Wunsch ist, dass KADA als automatischer Teil der Sportförderung verankert wird. Wie etwa die Sportpsychologie und die Sportmedizin. Sportler werden ja auch zum Masseur geschickt, warum nicht auch zum Bildungsberater? Das muss selbstverständlich werden, einen offiziellen Status haben. Wenn ich den Plan B habe, bin ich auch frei für sportliche Höchstleistungen.
derStandard.at: Welche Sportarten sind besonders auf Unterstützung angewiesen?
Stadlober: Das ist total unterschiedlich. Bis jetzt sind es rund 30 Sportarten. Die Faustballer zum Beispiel sind Vizeweltmeister geworden. Die wissen aber, dass sie vom Sport nicht leben können, und machen nebenbei eine Ausbildung. Genauso wie etwa Orientierungsläufer, Mountainbiker, Fechter und andere aus Randsportarten.
derStandard.at: Haben Fußballer gute Karten?
Stadlober: Das ist es schon schwieriger. Viele haben das Ziel, Fußballprofi zu werden. Innerhalb der Fußballakademien gibt es zwar zwei Schultypen, wenn die Schule jedoch zu Ende ist, ist es meist mit der Ausbildung vorbei. Wir haben viele Fußballer, die nur die Matura haben und nach dem Karriereende bei null stehen.
derStandard.at: Und im Wintersport?
Stadlober: Da ist es generell ein Problem, weil die Trainingsstätten oft abseits von urbanen Zentren sind. Genauso bei den Seglern. Mit diesen Sportarten lässt sich zum Beispiel ein Studium nur schwer vereinbaren.
derStandard.at: Das heißt, es betrifft sowohl populäre Sportarten wie Fußball und Skifahren als auch Randsportarten wie den Orientierungslauf?
Stadlober: Ja, das ist bunt gemischt. Ein Markus Rogan hat in Amerika studiert. Wenn man in den Jugendjahren so gut ist, kann man es im Ausland versuchen, wo es zum Teil mehr Angebote gibt.
Alle Sportler, die nur den Pflichtschulabschluss haben, werden am Arbeitsmarkt als Hilfsarbeiter eingestuft. Ein weiterer Bereich, in dem Schwierigkeiten existieren, sind eingebürgerte Sportler, die nach ihrer Karriere in Österreich bleiben. In sehr vielen Fällen wurden die Nostrifizierungen nicht gemacht, also die Anerkennung von Studienabschlüssen.
derStandard.at: Gibt es Branchen, die für ehemalige Sportler am ehesten in Frage kommen?
Stadlober: Interessanterweise sind es viele Unternehmen aus dem Vertrieb, die auf mich zukommen und Sportlern Jobs anbieten. Es wollen aber sehr wenige Sportler in den Vertrieb, obwohl man hier vergleichsweise wenig Ausbildung braucht. Sonst ist der Handel, die Sportartikelbranche natürlich ein Thema oder eine Ausbildung in Richtung Trainer, Masseur oder Physiotherapie.
derStandard.at: Viele Sportler kommen beim Bundesheer unter. Reichen die Kapazitäten?
Stadlober: Das Bundesheer ist in Österreich der größte Sportförderer mit circa 200 Plätzen, die pro Jahr zur Verfügung stehen. Das ist zumindest eine Art Absicherung, aber nur für einen kleinen Teil - und leistungsbezogen. Stimmt der Erfolg nicht, kann es sein, dass Sportler ihren Platz verlieren und ausscheiden müssen. Dann gibt es noch Plätze bei der Polizei, allerdings auch viel zu wenige, und etwa noch beim österreichischen Zoll. (Oliver Mark, derStandard.at, 10.10.2012)