Auffällige Architektur in der georgischen Hauptstadt: ein Theater- und Ausstellungskomplex unweit der Altstadt ...

Foto: Herwig G. Höller

 ... und die neue Rettungszentrale am Stadtrand.

Foto: Herwig G. Höller

Tiflis - An vielen Ecken und Enden der Hauptstadt wird heftig gebaut. Zwar wird auch manch historische Häuserzeile in der pittoresken Altstadt auf Hochglanz gebracht, insbesondere entsteht jedoch Neues und Spektakuläres: Das am 21. September eröffnete Haus der Justiz fällt mit seinen konvexen Dachformen auf, die wie riesige Pilzhüte wirken. Ein paar hundert Meter weiter entsteht ein Theater- und Ausstellungskomplex, der an zwei gigantische Schweinerüssel erinnert. Beide Entwürfe stammen vom italienischen Architekten Massimiliano Fuksas, der in Österreich den Vienna Twin Tower gebaut hat.

Diese und andere Neubauten in der Ex-Sowjet-Republik am Schwarzen Meer sind mehr als bloß zeitgenössische Architektur. Sie gelten als eines der sichtbarsten Propagandawerkzeuge von Michail Saakaschwili, dem seit 2004 amtierenden Präsidenten. Mit Konsequenzen: Von einem Bauboom, den das Land seit Jahrhunderten nicht gesehen habe, schrieb die holländische Architekturzeitschrift Mark kürzlich in einem 30-seitigen Georgienschwerpunkt.

Georgiens offiziöse Architekturpolitik erinnert an große, modernistische Vorbilder, insbesondere an die Türkei der 1920er- und 1930er-Jahre: Um seinem Land ein modernes Image zu verpassen, engagierte Staatsgründer Kemal Atatürk führende ausländische Architekten. Saakaschwili agiert ähnlich: "Wir laden freie, mutige und talentierte Menschen aus dem Bereich der Architektur ein, sich an Georgiens Transformation zu beteiligen", verkündete er 2008 beim Weltarchitekturkongress in Turin.

Architekturpropaganda

Anderswo eher unvorstellbar: Selbst im Wahlkampf setzte der amtierende Präsident auf Architektur, persönlich hatte er sich etwa um jenen Fotoband bemüht, der kürzlich an alle georgischen Haushalte verteilt wurde.

Die vom Kulturministerium herausgegebene Hochglanzbroschüre versammelt zentrale Neubauten, die seit Saakaschwilis Rosenrevolution errichtet worden waren. Der Band subsumiert das, was künftige Generationen wohl als "Saakaschwilis Stil" bezeichnen werden: Vordergründig handelt es sich um öffentliche Bauten, die sich durch computergenerierte Rundungen, Stahlgerüste und viel Glas auszeichnen. Letzteres soll wohl auf eine proklamierte Transparenz der öffentlichen Verwaltung verweisen, eines der zentralen politischen Projekte der Ära Saakaschwili.

Freilich, beim Wähler kam diese Form der Propaganda nur bedingt an: Selbst Regionen, in denen zuletzt besonders viel gebaut wurde, stimmten für die Oppositionspartei von Multimilliardär Bidsina Iwanischwili. Schicke, gläserne Polizeistationen nützen zudem politisch auch nur wenig, wenn gleichzeitig bekannt wird, dass Verhaftete anschließend im Gefängnis gefoltert werden.

Der Wahlsieg der Opposition zeitigt womöglich nun auch Konsequenzen für den wichtigsten Bau des Präsidenten. Für 82 Millionen Euro hat der spanische Architekt Alberto Domingo Cabo eine riesige Kugel errichtet, die in der westgeorgischen Stadt Kutaisi aus der Erde ragt. Hierher sollte nach Saakaschwilis Wünschen das Parlament übersiedeln, das bisher in einem stalinistischen Bau im Zentrum Tiflis' untergebracht war. Zumindest die erste Parlamentssitzung möchte Wahlsieger Iwanischwili in Kutaisi abhalten lassen, wie es dann weitergeht, ist unklar.

Erinnerung an eine Ära

Andere Neubauten werden den Georgiern in ihren Funktionen jedoch sicher erhalten bleiben und an utopistische Ambitionen Saakaschwilis erinnern. Das gilt etwa für jene 2012 auf einem Hügel am Stadtrand der Hauptstadt gelandete fliegende Untertasse, die als Zentrale für Rettungsdienste fungiert. Und selbst die anfänglich kritisierte "Friedensbrücke" des Italieners Michele De Lucchi ist mittlerweile zu einem vielfotografierten Blickfang avanciert. Die an einen riesigen Glassattel erinnernde Brücke verbindet die Tifliser Altstadt mit urbanistischem Entwicklungsgebiet.

Aber auch nach dem Abtreten des Präsidenten ist weiterhin mit spektakulärer Architektur zu rechnen: Auch Multimilliardär Bidsina Iwanischwili hat ein Faible für auffällige Bauten und unterstützte mit seinen Millionen beispielsweise ein konstruktivistisches Botanik-Institut, das kalifornischer Avantgardearchitektur der Zwischenkriegszeit ähnelt. Selbst wohnt Iwanischwilli in einem Palast, den er sich von seinem japanischen Lieblingsarchitekten Shin Takamatsu errichten ließ.

Der protzige Bau liegt, von weitem sichtbar, auf einem Hügel im Zentrum der Hauptstadt. Er würde ohne Zweifel auch jedem James-Bond-Bösewicht zur Ehre gereichen.    (Herwig G. Höller aus Tiflis, DER STANDARD, 5.10.2012)