Nach Informationen des STANDARD hat die Medienbehörde der Beschwerde der österreichischen Privatsender (VÖP) Recht gegeben, wonach das ORF-Programm 2010/2011 nicht ausgewogen war. Der Bescheid ist hier abrufbar. Mit einer Berufung des ORF ist zu rechnen. Nicht stattgegeben wurde der VÖP-Beschwerde, dass das ORF-Programm verwechselbar sei. Soweit wir das bisher überblicken, bezieht sich die Entscheidung lediglich auf den Zeitraum Anfang 2010 bis Ende August 2011 und trifft keine Aussage über das aktuelle ORF-Angebot - inzwischen gibt es ORF 3, und ORF 2 wie ORF eins rüsten gerade infomäßig auf, wohl kein Zufall.

Gültig auch für das laufende Programm: Die Behörde entschied, dass weder ORF eins noch ORF 2 in dem Zeitraum Vollprogramme waren, wie das Gesetz vorschreibt. Und sie definiert auch gleich, was ein Vollprogramm tun muss: Jedenfalls drei von vier Kategorien - Info, Kultur, Sport, Unterhaltung - müssen in einem Kanal vorkommen, die fehlende jedenfalls im anderen. Jede muss mindestens zehn Prozent Sendezeit haben (die Kultur etwa ist auch in ORF 2 darunter) und maximal 66 (Unterhaltung in ORF 1 darüber).

Aus der Kurzfassung der Medienbehörde zur Entscheidung:

Von 1. Jänner 2010 bis Ende August 2011 (der vom Verband der Privatsender untersuchte und angezeigte Zeitraum) habe der ORF "kein differenziertes Gesamtprogramm von Information, Kultur, Unterhaltung und Sport für alle angeboten, weil kein angemessenes Verhältnis der Kategorien Information, Kultur, Unterhaltung und Sport zueinander bestanden hat." Damit habe der ORF in dem Zeitraum das Gesetz verletzt.

Wohl vor allem ORF 1 war so programmiert, dass die Medienbehörde feststellt, der ORF habe 2010/11 "keine zwei Vollprogramme mit den Kategorien Information, Kultur, Unterhaltung und Sport veranstaltet". Eine weitere Verletzung des ORF-Gesetzes.

Aber die Behörde gibt den Privatsendern nicht Recht, dass das ORF-Fernsehen entgegen ORF-Gesetz verwechselbar war (mit Privaten). In weiteren Einzelpunkten hat die Behörde Vorwürfe der Privaten als unzulässig zurückgewiesen, Details folgen.

Verlesung in der Prime Time

Die Behörde trägt dem ORF auf, die Entscheidung auf zweimal in der Prime Time seiner TV-Programme folgenden Absatz zu verlesen: "Die KommAustria hat aufgrund einer Beschwerde mehrerer Mitbewerber Folgendes festgestellt: Der Österreichische Rundfunk hat vom 01.01.2010 bis zum 31.08.2011 kein differenziertes Gesamtprogramm von Information, Kultur, Unterhaltung und Sport für alle angeboten, weil kein angemessenes Verhältnis der Kategorien Information, Kultur, Unterhaltung und Sport zueinander bestanden hat. Zudem hat der Österreichische Rundfunk in diesem Zeitraum keine zwei Vollprogramme mit den Kategorien Information, Kultur, Unterhaltung und Sport veranstaltet. Dadurch wurde das ORF-Gesetz im Hinblick auf den öffentlich-rechtlichen Auftrag verletzt."

Die Parteien können binnen zwei Wochen Berufung beim Bundeskommunikationssenat einbringen. 

VÖP-Präsident: Stärkt Journalisten

Klaus Schweighofer, Vorsitzender des Privatsenderverbandes, wertet die Entscheidung der Behörde als "guten Tag für den Journalismus im ORF". Die Behörde schreibe dem ORF ja Mindestanteile an Information und Kultur, die teils über den bisherigen Anteilen liegen. Der Gebührenfunk müsse also Mittel in den Journalismus umschichten, erwartet Schweighofer, Vorstand der Styria, im Gespräch mit dem STANDARD.

"Das ist die wichtigste Bestätigung der VÖP-Positionen seit Bestehen des privaten Rundfunks. Diese Entscheidung der KommAustria ist richtungsweisend für die österreichische Medienpolitik", kommentiert  Schweighofer: "Sie unterstreicht unsere fortwährende Kritik: Das Programm des ORF ist zu kommerziell ausgerichtet. Der Unterhaltungsanteil überwiegt deutlich. Die tragenden Säulen öffentlich-rechtlichen Programms - Information und Kultur - werden vernachlässigt."

"Es ist erfreulich, dass die KommAustria durch die Festlegung von Kriterien für die Vollprogramme ORF eins und ORF 2 der Auslagerung von wenig quotenstarken Inhalten in die Spartenprogramme einen Riegel vorgeschoben hat", sagt Corinna Drumm, Geschäftsführerin des VÖP. Damit gebe es "endlich eine für die zukünftige Programmgestaltung des ORF wesentliche Präzisierung des Programmauftrags."

ORF will mit "allen rechtlichen Mitteln gegen Eingriff in die Unabhängigkeit" vorgehen

ORF-Generaldirektor zeigte sich in einer ersten Reaktion "bestürzt über einen unfassbaren Bescheid" der Medienbehörde KommAustria". Die Bescheidaussage, dass das Programm des ORF-Fernsehens
unausgewogen sei, weist der ORF entschieden zurück und kündigt an, sich mit "allen rechtlichen Mittel gegen diesen erstmaligen inhaltlichen Eingriff in die Programmgestaltung zur Wehr" zu setzen. 

"Selbstverständlich bekenne sich der ORF zu einem vielfältigen Programm, in dem Information, Kultur, Unterhaltung und Sport optimal angeboten würden". Vollkommen inakzeptabel sei aber die erstmalige bescheidmäßige Festschreibung von fixen Prozentanteilen, die der ORF aus den Bereichen Information, Kultur, Unterhaltung zu senden habe, so der ORF:

Außerdem vertrete die Behörde einen "extrem engen Kulturbegriff, der in keiner Weise einem zeitgemäßen Kulturverständnis in einer modernen Informationsgesellschaft" entspreche. Die Behörde wolle ein Quotenfernsehen, das nicht in Ansätzen den Wünschen und Konsumgewohnheiten der Gebührenzahler entspricht. Wrabetz: "Wir werden verhindern, dass in Österreich Programm von der staatlichen Medienbehörde gemacht wird."

ORF: Gutachten inhaltlich falsch

Kritisch sieht der ORF auch das Gutachten, auf das sich die Behörde stützt. Es sei "wissenschaftlich fragwürdig, methodisch verfehlt und inhaltlich falsch". Es sei zudem von einem Sachverständigen verfasst worden, der "in einem Naheverhältnis zu deutschen privaten Mitbewerbern" stehe.

Dieser "einzigartige Fall von behördlichem Eingriff in die Programmautonomie" eines öffentlich-rechtlichen Senders ist laut ORF "ein klarer Verstoß gegen die verfassungsgesetzlich gewährleistete und in Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit und die Unabhängigkeit des ORF gegenüber staatlichen Behörden". Wrabetz: "Der ORF wird alle nötigen Mittel ergreifen, um seine Programmhoheit zu verteidigen." (red, derStandard.at, 5.10.2012)