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"Den Möchtegern-Pascha runter vom Thron", will das Schild zur Rechten der Stahlhelme.

Foto: REUTERS/Osman Orsal

Kaum etwas polarisiert die türkische Gesellschaft aktuell so sehr wie die Syrien-Problematik. Die Fronten zwischen denen, die die Regierungspolitik der amtierenden AKP im Hinblick auf Syrien für falsch befinden und diejenigen, die sie für notwendig erachten sind verhärtet.

Aber nicht nur die größte Oppositionspartei - die kemalistische Volkspartei (CHP) stellte sich von Anfang an gegen die türkische Regierungspolitik in puncto Syrien, auch andere Oppositionsparteien und zivilgesellschaftliche Akteure sind im "Antikriegslager" zu finden, wobei die Motive für diese Haltung aber oftmals unterschiedlich sind.

Point of No Return?

Nach dem Vorfall von Akçakale mit fünf toten türkischen Zivilisten hatte sich am Donnerstag das türkische Parlament in einer geheimen Sitzung die Entscheidung zur Erweiterung der parlamentarischen Erlaubnis für grenznahe militärische Operationen im Irak und Syrien gegeben.

Türkische Kommentatoren hielten zwei Details fest: Das türkische Parlament schloss in der Vergangenheit die Öffentlichkeit aus, als es etwa über die militärische Intervention in Zypern 1974 abgestimmt hatte und von 550 Abgeordneten des türkischen Parlaments hatten sich knapp 100 entschuldigen lassen und nicht an der Abstimmung teilgenommen. Man schätzt, dass sich etwa 40 der 326 AKP-Abgeordneten von der Abstimmung ferngehalten haben.

Kaum hatte Bekir Bozdağ von der regierenden AKP nach der Sitzung des Parlaments die Entscheidung verkündet, wurde bereits über Twitter und andere soziale Netzwerke zu "Antikriegs-Kundgebungen" aufgerufen. Unter dem Motto #savasahayir (Nein zum Krieg) taten unzählige User ihren Unmut kund, während unter dem gleichen Hashtag die Befürworter der Regierungspolitik, um die Aufmerksamkeit der Kriegsgegner buhlten.

Spontane Antikriegsdemos

So kam es Donnerstagabend im ganzen Land zu spontanen Demonstrationen, die meist unter der Schirmherrschaft von zivilgesellschaftlichen Akteuren oder linken Kleinparteien standen. Doch die mit Abstand größte und hauptsächlich von der größten türkischen Oppositionspartei (CHP) getragene Demonstration fand im Herzen Istanbuls am Taksim-Platz statt. Die Veranstalter sprachen von hunderttausenden, die großen türkischen Zeitungen von zehntausenden TeilnehmerInnen.

Die Kundgebung am Taksim-Platz blieb weitgehend friedlich, während kleinere Demonstrationen wie etwa im westtürkischen Çanakkale von der Polizei gewaltsam aufgelöst worden sind. Doch eines verband alle Demonstrationen im Land: "Nein zum Krieg" und „"ücktritt der Regierung" waren die zwei Hauptslogans des Abends.

Die Motive der Kriegsgegner

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan kritisierte die Kriegsgegner und stellte ihnen in Aussicht, sie würden sich "vor der Geschichte verantworten" müssen. Diesen Vorwurf empfindet die Journalistin Pınar Öğünç von der liberalen türkischen Tageszeitung "Radikal" als empörend. "Der nächste Vorwurf wird dann wohl der des Landesverrats sein", befürchtet sie.

Öğünç sieht den Grund für die große Wut der Kriegsgegner nicht etwa in einer Solidarität mit Assads Regime in Damaskus, sondern in der unbedachten Regierungspolitik Erdoğans. Man müsse sich bewusst sein, dass mit der gestrigen parlamentarischen Erlaubnis für grenznahe militärische Operationen ja quasi ein Blankoscheck ausgestellt worden wäre und dies sei demokratiepolitisch bedenklich, so Öğünç weiter.

Ein Twitter-User namens Ertuğrul Can fasste eine weitere Angst der türkischen Bevölkerung zusammen, als er schrieb, man solle sich nicht für die Pläne Amerikas und Israels einsetzen und kein muslimisches Blut vergießen. Die gängigste Angst der türkischen Kriegsgegner ist daher auch die Angst vor "BOP" (Großes Projekt für den Nahen Osten): Einem angeblichen Plan der USA (und natürlich Israels), um den Nahen Osten neu zu ordnen und unter anderem einen großen kurdischen Staat zu etablieren.

Das alles will die Journalistin Aslı Aydıntaşbaş von der liberalen Tageszeitung "Milliyet" nicht gelten lassen und sieht die Debatte in die falsche Richtung abgleiten. Der Krieg würde bereits stattfinden und hätte Tausenden Syrern das Leben gekostet, da könne man nicht wegschauen, ließ sie via Twitter wissen. (Rusen Timur Aksak, derStandard.at, 5.10.2012)