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Es ist immer dasselbe Ritual: Ich hole mein Kind aus dem Kindergarten, wir essen jeder ein Kipferl und teilen uns den Kaffee. Dann gehen wir in den Park.

Foto: APA/Herbert Pfarrhofer

Es ist immer dasselbe Ritual: Ich hole mein Kind aus dem Kindergarten, wir essen jeder ein Kipferl und teilen uns den Kaffee. Dann gehen wir in den Park. Inzwischen bin ich dort ein affirmiertes Mitglied einer kleinen Gemeinschaft, bestehend aus einer Bulgarin, die gut Serbisch spricht, einer Ungarin, die gut Deutsch spricht, und unserer kroatischen Nachbarin, die perfekt Kroatisch spricht. Multikulti in Reinsubstanz.

Der Archipel Kopftuch

Wenn ich meine Brille abnehme und sofort Opfer meiner Kurzsichtigkeit werde, sehen sie aus wie kleine bunte Inseln aus Kopftüchern. Die türkischen Mütter bleiben in unserem Park unter sich und bewohnen einige Holztische mit Bänken. Alles ist da: Tee, kleine Häppchen, manche Baklava darunter. Wenn sie miteinander plaudern und ihre Köpfe neigen, drehen und heben, sieht das für einen Kurzsichtigen eben aus wie Büsche aus Farben, die in der Meeresbrise flattern.

Und weil ich die Insel-Metapher jetzt echt überspannen möcht', vergleiche ich die um ihre Mütter tobenden Kinder mit Delfinen, die sich sorglos um und zwischen den Mutterinseln tummeln. Manchmal möchte ich auch eines dieser Kids sein, ein, zwei Baklava stiebitzen und anschließend mit Ayran runterspülen. Ich finde diesen Anblick einer versammelten Mutterschaft irgendwie tröstlich. Es hat etwas die Seele Wärmendes in der großen, kalten Stadt.

Regungslos am Holzpferd

Seit einigen Tagen ist sie da. Sie ist etwa zwei, hat große schwarze Augen, dunkle Haut und ein Kopftuch, wie es in Indonesien üblich ist und das mehr wie eine spitze Kappe aussieht. Sie sitzt auf einem Holzpferd, das mit einer großen Feder im Boden verankert ist. Sie sitzt nur, schaukelt nicht und blickt in eine unbestimmte Ferne. Das dauert etwa eine halbe Stunde.

Dann kommt ihr Vater, der in der Nähe sitzt und in einem Magazin blättert, hebt sie vom Pferd, setzt sie auf eine Schaukel. Da sitzt das kleine Mädchen still und bewegungslos noch eine halbe Stunde. Danach ist der Vater mit dem Magazin durch, nimmt sie von der Schaukel und sie gehen aus dem Park. Tag für Tag. Nur traurig.

Die Schweine

In unserem Park gibt es drei Sorten von Schweinen. Die erste besteht aus nur zwei Individuen, die hinten bei den Büschen Gras verchecken. Ich habe nachgefragt: Das Gramm kostet 15 Euro! Wir wissen alle, dass gutes Gras bei der Privatconnection schon um acht Euro zu haben ist, bei größerer Menge sogar um weniger. Das ist eine ganz üble Abzocke!

Die andere Sorte ist zahlreicher und besteht aus Halbwüchsigen, die entweder mit der Wuchtl oder mit ihren 67-gängigen Fahrrädern fetzen. Einmal sehe ich, wie der Fußball einen Dreijährigen mitten ins Gesicht trifft. Es ist erstaunlich, wie weit der Kopf eines Kindes in den Nacken schnalzen kann, ohne dass die Wirbelsäule bricht. Dafür platzt die kleine Nase sofort, und das Blut spritzt zwei Meter weit. Rettungseinsatz! Bei einer anderen Gelegenheit erstaunt mich die Lautstärke des dumpfen Geräusches, das ein Kinderkopf erzeugt, der gegen Beton knallt, wenn ein etwa 16-Jähriger mit seinem Fahrrad das Kind umhaut. Rettungseinsatz!

Am schlimmsten ist jedoch eine österreichische Prolo-Family, jung, tätowiert und der deutschen Sprache nur mangelhaft kundig, die samt Kampfhund ohne Maulkorb Berge leergesoffener Energydrinks hinterlässt. Die (sehr) junge Frau hat öfter ein blaues Aug, der kleine Junge sitzt manchmal einfach nur da und stopft Salzstangerln in sein Mündchen, der "Vater" lästert laut über den immer fetter werdenden "Oasch" seiner Frau oder droht wieder mit "aner Vakehrtn" bei Widerspruchsversuch. Noch trauriger als das Mädchen auf dem Holzpferd.

Die anderen Mütter und ich

Ich bin einer der wenigen männlichen Mütter im Park. Meine Parkfreundinnen, die Bulgarin, die Ungarin und unsere kroatische Nachbarin, sind eine Insel für sich. Ich fühle mich mit ihnen wohl, weil ich sehe, dass meine Kindsorgen dieselben sind wie ihre.

Und weil die Ungarin mir öfter Fische schenkt, die ihr Vater in Ungarn fischt und am Wochenende seiner Tochter nach Wien bringt. Ausgenommen und tiefgefroren, muss ich sie nur noch auftauen und zubereiten. Hier ein Rezept für Zander: Fisch beidseitig quer einschneiden, gut salzen und in Semmelbröseln wälzen, dann in wenig heißem Öl braten, dazu gekochte Kartoffeln und ein Salat aus Cherrytomaten und Jungzwiebeln.

Die Kroatin hat immer guten Schnaps, von dem ich nach dem Parkaufenthalt bei ihr zu Hause vier, fünf Stamperln kippe. Der Mann der Bulgarin, der akzentfrei Serbisch spricht, borgt mir manchmal seine Comics. Meistens will ich "Dylan Dog" oder "Marti Misterija" lesen. Als Gegenleistung unterhalte ich unsere kleine Gruppe mit meinen Überlegungen zur Conditio humana.

Die Helden

Wenn ich mit meinem Sohn gegen 3 Uhr in den Park komme, kommen bald auch die Tanten (und mancher Onkel) aus unserem Kindergarten mit einer Schar jener Kinder, deren Eltern arbeiten und ihre Kids erst um 5 Uhr abholen können.

Für mich sind diese KindergärtnerInnen die wahren Helden des Parks. Wir vertrauen ihnen unsere Kinder jeden Tag an und meinen, es sei selbstverständlich, dass wir sie unbeschadet wiederempfangen. Welche Mühsal die Gewährleistung dieser Selbstverständlichkeit bereitet, wollen wir gar nicht wissen, genauso wie wir offenbar nicht wissen wollen, dass diese Menschen ihren Job vergleichsweise für einen Nasenrammel an Gehalt machen. An dieser Stelle meinen Dank dafür! Und die Empfehlung an alle Eltern: Schreibt dem Präsidenten der Republik, er soll da was machen, weil die anderen Politiker im Moment von zu vielen (und viel zu wichtigen) Skandalen abgelenkt sind. Den eigenen nämlich!

Das Fazit

Ich würde lieber mit meinem Kind in den nahen Schlosspark von Schönbrunn gehen, weil es dort keine Fußbälle fetzenden und mit dem Fahrrad rasenden Halbwüchsigen gibt. Ebenso wenig wie Hundescheiße, Proleten, Dealer und traurige Kinder. Aber ich habe das Gefühl, ihn damit um den Gehalt der Realität zu betrügen. Unser Sohn wird in dieser meistens wundervollen Stadt aufwachsen, deren Realität nun einmal im Park beginnt.

Und das ist gut so. (Bogumil Balkansky, daStandard.at, 5.10.2012)