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Die zwei achtjährigen Komani-Zwillingsmädchen sind im Herbst 2010 mit ihrem Vater in den Kosovo abgeschoben worden - die erkrankte Mutter musste hierbleiben. Es war eine von vielen humanitär problematischen Abschiebungen.

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Kinder brauchen Schutz. Kinder haben Rechte. Auf das Wohl von Kindern muss geachtet werden. Erwachsene haben ihren Egoismus zurückzustecken, wenn es um das Schicksal von Kindern geht. Soweit einige Grundregeln für den Umgang mit dem Nachwuchs, denen im Grunde wohl alle zustimmen.

Zwar arbeiten sich viele an diesen Ansprüchen ab, und manche scheitern an ihnen im Privaten: Der dänisch-österreichische "Fall Oliver" als offener Elternkrieg auf dem Rücken eines kleinen Buben ist diesbezüglich die Spitze eines Eisbergs. Aber solches missbilligen viele: Ein Kind aus der gewohnten Umgebung zu reißen, es durch Trennung von Teilen der Familie zu belasten, gilt als Skandal. ExpertInnen und LeserbriefschreiberInnen treten dagegen wortreich und emotional auf den Plan.

In einem anderen Bereich verhallen ihre kritischen Stimmen meist ungehört. Die Rede ist vom Umgang mit AusländerInnen, die das Recht verwirkt haben, in Österreich zu bleiben. Hier steht das Ziel der Behörden, Ausweisungen und Abschiebungen durchzusetzen, im Vordergrund. Die Frage, ob das auch den mitbetroffenen Kindern zumutbar ist, gerät ins Hintertreffen. Die Regeln für schonungsvollen Umgang mit Minderjährigen gelten de facto oftmals nicht.

Fall Komani

Daran hat auch die Aufregung um den Fall Komani nichts Grundlegendes geändert: Die zwei achtjährigen Zwillingsmädchen waren im Herbst 2010 in Österreich schulisch und sozial gut verankert. Dennoch wurden sie mit dem Vater in den Kosovo abgeschoben. Die erkrankte Mutter musste hierbleiben: Um das Fremdenrecht durchzusetzen, erschien der Fremdenpolizei die Familientrennung damals akzeptabel.

Zwar wurden Vater und Töchter nach Protesten wieder nach Österreich zurückgeholt (und sind seither hier geblieben), und in Wien wurde danach eine angeblich "familien- und kindgerechte" Schubhaft in der Zinnergasse errichtet. Doch dort ebenso wie sonst im Land wird ausländischen Kindern und Jugendlichen aus fremdenrechtlichen Gründen nach wie vor in vielen Fällen Verstörung und Entwurzelung zugemutet.

Das zeigt sich ganz konkret in diesen Wochen wieder, wo im redaktionellen Alltag kein Tag ohne Mails oder Anrufe wegen bevorstehender humanitär problematischer Abschiebungen vergeht. Zwar sind die Abschiebungszahlen bis inklusive August laut Innenministeriumsstatistik nicht gestiegen: Aber die Nachrichten darüber haben sich seit September stark verdichtet - und oft sind Kinder oder Jugendliche mitbetroffen.

Aus Angst abgetaucht

So etwa im Fall von Frau S. aus Georgien und ihrer eineinhalbjährigen Tochter. Der Kindesvater musste Österreich vor einem Jahr verlassen, sie war damals schwer erkrankt und durfte mit dem Baby bleiben. Jetzt erfuhr auch sie ihren Abflugtermin: Eine, wie sie sagt, Katastrophe, weil sie zu dem Ex-Lebensgefährten den Kontakt verloren habe. In Georgien, so fürchtet sie, werde sie samt Kind auf der Straße landen. Daher hat sie ihre Unterkunft in Wien verlassen und lebt jetzt mit dem kleinen Kind an unbekannten Orten.

Oder auch im Fall von Negin und Nimmah H.: zwei Kindern im Volksschulalter aus Afghanistan. In ihrer Wiener Schule hatten sie sich gut eingelebt und begonnen, sich auf Deutsch zu verständigen - nach Monaten mit den Eltern auf der Flucht ein Ort der Normalität. Bis vergangenen Mittwoch die Fremdenpolizei kam: Die Familie müsse laut der EU-weiten Dublin-II-Verordnung nach Italien, obwohl dort ein Gutteil aller Flüchtlinge ohne staatliche Versorgung auskommen muss.
Zwar wurde in diesem Fall die für Donnerstag geplante Wegbringung gestoppt: Vor dem Wiener Familienanhaltezentrum hatten sich um vier (!) Uhr Morgen etliche DemonstrantInnen versammelt hatten. Aber was jetzt? Ein Leben im "Apartmentgefängnis" in der Zinnergasse ist eindeutig nicht kinderadäquat.

Kinder mitbetroffen

Soweit zwei ungelöste Härtefälle von aktuell mindestens zehn. Sie zeigen: Werden Erwachsene aus asyl- oder fremdenrechtlichen Gründen zu Unpersonen, so sind ihre Kinder direkt mitbetroffen. Dann ist die Rücksicht aufs Kindeswohl schnell dahin - und es wird klar, warum die von den Vereinten Nationen verbrieften Kinderrechte in Österreich mit Vorbehalten in Verfassungsrang erhoben wurden.

Einer davon besagt, dass die Kinderrechte nur beschränkt gelten, wenn es um Fragen der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" geht. Die Durchsetzung des Fremdenrechts gilt als solche. Auf diese Art tolerieren wir, dass es bei Kindern und Jugendlichen in Österreich zwei Klassen gibt: die Hiesigen und die Anderen. (Irene Brickner, derStandard.at, 6.10.2012)