Laut VeranstalterInnen kamen zur Demo rund 4.000 Menschen. Die Polizei gab die Zahl mit 1.500 an.

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Kindergarten - Achtung Einsturzgefahr! lautete das Motto der Demo am 6. Oktober.

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Laut Statistik Austria sind rund 50.000 Menschen in Kindergärten und Kindertagesheimen tätig. Der Frauenanteil liegt bei 98 Prozent. Hier demonstrieren drei Generationen für einen besseren Kindergarten.

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Auch unter den Kleinsten gab es UnterstützerInnen.

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Der Warnwesten-Demozug in Richtung Finanzministerium.

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Noch vor 10 Jahren war es einfach, Eltern auf die Seite der Kinderbetreuungseinrichtung zu ziehen. Wenn das Kind gern in den Kindergarten ging und die Betreuerinnen einen netten Eindruck machten, waren auch die Eltern zufrieden. Heute sieht die Sache anders aus: Individuelle Förderung, Bildungsangebote, Sprachförderung und auch detailliertes Feedback über die Entwicklung des Kindes gehören zur Grundausstattung einer empfehlenswerten Kinderbetreuungseinrichtung.

Kindergarten als erste Bildungseinrichtung

An dieser Entwicklung ist eigentlich nichts auszusetzen, zeigt sie doch, dass bei den Eltern angekommen ist, was die Kindergartenpädagoginnen seit langen fordern: die Anerkennung des Kindergartens als erste Bildungseinrichtung und eine Wahrnehmung ihrer Arbeit, die über die Fürsorge der "lieben Tante" hinausgeht.

Nur hat sich diese mentale und politische Aufwertung nicht auf die Arbeitsbedingungen der KindergartenpädagogInnen ausgewirkt. Heidemarie Lex-Nalis fügt zerknirscht hinzu: "Und ausgerechnet wir haben diesen Teufelskreis in Gang gesetzt." Mit "wir" meint die Sprecherin der Elementarpädagogik-Interessensvertretung "Educare" die vielen Interessensverbände und Berufsvertretungen, die seit geraumer Zeit für die Verbesserung der Kleinkindbetreuung mobilisieren.

Sichtbarer Protest

Der Protest hat sich in den letzten Jahren von klassischem Lobbying ausgeweitet auf die Straße. Autonome, gesellschaftskritische Gruppen wie der "Kindergartenaufstand" sind entstanden, haben Demos organisiert und rüttelten am Bild der stets freundlichen, gutmütigen Kindergartentante, die keinen Sinn für arbeitsrechtliche Organisation hat. Am vergangenen Samstag gingen erneut KindergartenpädagogInnen auf die Straße - diesesmal organisiert von der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA-djp), der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten (GdG-KMSfB) und der Gewerkschaft vida.

Kindergarten: Achtung Einsturzgefahr

Am Wiener Minoritenplatz hatten sich am frühen Nachmittag geschätzte tausend KindergartenpädagogInnen aus allen Bundesländern versammelt. Ihr Ziel: das Finanzministerium. Mit ihrer Marschroute zeigten sie das Dilemma der bildungspolitischen Bewegung auf besonders treffende Weise. Für die Anliegen der Bewegung gibt es auf Bundesebene keinen Ansprechpartner.

Seit 2009 gibt es zwar einen "Bildungsplan für elementarpädagogische Einrichtungen", der vom Bildungsministerium in Auftrag gegeben wurde. Doch seither herrscht erneut Funkstille. "Von den vielen Dingen, die darin für die Qualitätssicherung festgehalten sind, wurde kaum etwas umgesetzt", kritisiert Lex-Nalis.

Der Grund liegt darin, dass sich das Bildungsministerium für die Umsetzung nicht zuständig hält und auch keine Ressourcen dafür hat. Das Wirtschafts- und Familienministerium wiederum co-finanziert zwar viele Kinderbetreuungseinrichtungen in ganz Österreich, fokussiert aber vor allem auf den Ausbau der Plätze, nicht aber deren Qualität. Eine Ausnahme stellt die "frühe sprachliche Förderung" dar, die 2012 mit den Ländern vereinbart wurde und vom Bund mitfinanziert wird.

Gesetzlicher Fleckerlteppich

Ein weiteres Problem für die Umsetzung ist die gesetzliche Situation, die die Kleinkindbetreuung als Ländersache definiert. Unzählige arbeitsrechtliche Regelungen der verschiedenen Kindergarten-Träger kommen noch hinzu und verhindern die Umsetzung von Forderungen, die dann auch für alle gelten.
Derzeit liegt die Elementarpädagogik in der Hand eines jeden einzelnen Bürgermeisters. Die Kindergarten-Bewegung fordert hingegen eine einheitliche Bundesgesetzgebung, die alle Einrichtungen abdeckt.

Gruppengröße

Auch die maximale Gruppengröße in Krippen und Kindergärten obliegt den Ländern. Plakate forderten auf der Demo "Qualität statt Massenkindhaltung" und in der Tat scheint die Gruppengröße eines der Hauptprobleme im alltäglichen Kindergartenablauf zu sein. Demonstrantin Ulrike (56) berichtet, dass sie an ihrem Arbeitsplatz in Vorarlberg an manchen Tagen 21 Kinder allein zu betreuen hat - etwa wenn die zweite Betreuungsperson krank ist. Als Betreuerin muss man dann Gruppen- und Toilettenraum gleichzeitig im Auge behalten, was ein Ding der Unmöglichkeit ist. Der Leidensdruck ist groß: "Wenn ich jünger wäre, würde ich umsatteln."

Auch Karina (23), in Wien an einem städtischen Kindergarten tätig, würde als erstes bei den Gruppengrößen ansetzen. "Wir sind zu zweit für 25 Kinder zwischen 3 und 6 Jahren zuständig, da bleibt für den Beziehungsaufbau und die individuelle Betreuung kaum noch Zeit."

Gehalt

Inzwischen kein Geheimnis mehr ist die dürftige Gehaltssituation von KindergartenpädagogInnen. Das Einstiegsgehalt für PädagogInnen beträgt in Wien derzeit rund 1.400 Euro netto, das wollen sich viele junge Frauen und noch weniger Männer dauerhaft bieten lassen. Nicht einmal vierzig Prozent steigen nach Schulabschluss überhaupt in den Beruf ein, und die EinsteigerInnen merken bald, dass sie auf den Arbeitsalltag in der Ausbildung nicht vorbereitet wurden.

Lex-Nalis, die auch in der Ausbildung für KindergartenpädagogInnen tätig ist, kann dies nur bestätigen. Sie hält es für unmöglich, einem 17-jährigen Mädchen beizubringen, was die Gesellschaft inzwischen von einer Kindergartenbetreuerin erwartet. Zum einen, weil die Mädchen in dieser Zeit ein großes Pensum an Lernstoff aufgrund der Reifeprüfung zu tragen haben. Zum anderen, weil die Ausbildung derzeit nicht tief genug gehe, um sie mit dem nötigen Selbstbewusstsein auszustatten. Dieses sei aber wichtig, um kognitiv-, emotional- und sozialfördernd auf Kinder mit unterschiedlichen Bedürfnissen einwirken zu können. 

Bessere und höherwertige Ausbildung

Die Kindergarten-Bewegung fordert deshalb seit langem eine Akademisierung der kinderpädagogischen Ausbildung. Österreich ist inzwischen das einzige Land in der EU, das seine KindergärtnerInnen nicht auf dem tertiären Bildungssektor ausbildet. Lex-Nalis meint: "Das drückt auch etwas über die Wertigkeit aus, die hierzulande diesem Beruf entgegengebracht wird."

Den eklatanten Mangel an Fachpersonal decken die Einrichtungen derzeit mit der Aufwertung von Helferinnen ab, die schon länger tätig sind. "Ein eklatanter Fehler", wie Lex-Nalis kritisiert. Die Frauen seien nicht geschult und würden das Problem des Fachkräftemangels nur verdecken. Stattdessen fordert sie die Möglichkeit, Weiterbildung über berufsbegleitende Modul-Systeme zu etablieren, die es auch Älteren, QuereinsteigerInnen und MigrantInnen ermögliche in den Beruf einzusteigen.

In den letzten Jahren hat sich die Formel "der Kindergarten wird's schon richten" fest in den Köpfen von Gesellschaft und PolitikerInnen verankert. Wenn das Vertrauen in die Institution Bestand haben soll, werden sich die Rahmenbedingungen anpassen müssen. (freu, dieStandard.at, 7.10.2012)