Ein Ungeheuer bedroht die Demokratie. Mit dem Gerrymander begann 1812 der Wettlauf um den optimalen Wahlkreis.

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Die USA sind wenig politisch umkämpft. Das ist zum Teil der parteiischen Aufteilung der Wahldistrikte geschuldet.

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Arnold Schwarzenegger gelang es 2008 seine kalifornischen Landsleute davon zu überzeugen, die Kompetenzen für die Wahlkreisziehung nicht in den Händen der Legislative zu lassen.

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Die Vermessung der USA ist zum politischen Geschäft geworden. Im 18. Jahrhundert legten die Gründerväter noch das Lineal an, als sie die Grenzen der Bundesstaaten zogen. Heute sind die Handlungsspielräume für Politiker viel weitreichender. Computersoftware hilft, sich den idealen politischen Wahlbezirk maßzuschneidern.

Alle zehn Jahre wird in den USA das Volk gezählt. Danach werden die Wahlbezirke neu gezogen. Ein Akt, der die politische Zukunft der Bundesstaaten mitbestimmt. Denn Demokraten und Republikaner versuchen mittels ausgeklügelter Taktiken ihre Schäfchen schon vor den nächsten Kongresswahlen ins Trockene zu bringen. Aufgrund des "The Winner takes it all"-Prinzips werden die Grenzen genau so gezogen, dass das potentiell republikanische oder potentiell demokratische Wählerklientel in je eigens abgesteckten Gebieten vorzufinden ist. Leben die demokratischen Wähler über mehrere Gegenden verteilt, muss der Bezirk auf der Landkarte ebenfalls ausfransen. Auf andere Einheiten, wie z.B. Stadtgrenzen und Schulbezirke wird dabei keine Rücksicht genommen.

In den USA wird dieser Vorgang als "Gerrymandering" bezeichnet. Der Begriff entstand 1812 als Elbridge Gerry, Gouverneur von Massachusetts, seinen Wahlbezirk so einrichtete, dass er mit einem definitiven Sieg rechnen konnte. Die Form des Bezirks glich einem Salamander. Die geographischen Kampfzonen zwischen Republikanern und Demokraten geben auch gegenwärtig skurrile Abbilder: So ähnelt der 27. Wahlbezirk in Texas derzeit einer Pistole, der dritte Bezirk in Maryland hingegen einer Amöbe.

Extreme Positionen durch extreme Grenzziehungen

200 Jahre sind inzwischen vergangen, die Bedeutung des Gerrymandering ist gewachsen. Kritiker sprechen davon, dass die Bevölkerung durch die Einteilung der Bezirke polarisiert wird, ja sogar, dass dadurch die Demokratie abgeschafft wird. Denn in immer mehr Wahlkreisen ist schon im Vorhinein ganz klar, welcher Kandidat gewinnen wird. Es findet kein echter Wahlkampf mehr statt, die gegnerische Partei stellt keine Kandidaten mehr auf. Die geographisch festgehaltene Parteilichkeit der Bezirke führt auch zu immer extremeren politischen Positionen. Denn wer nicht mehr um Nichtwähler oder Unentschlossene buhlen muss, kann auch mit kompromissloser Wirtschaftspolitik oder extremen Weltanschauungen Stimmung machen und trotzdem gewinnen.

Die Grenzziehung erfolgt in den meisten Bundesstaaten auf Kosten der Wählerschaft und zu Gunsten der eigenen Machterhaltung. Die Partei, die gerade die Mehrheit hält, kann die Grenzen nach ihren Gutdünken ziehen. Als nach der letzten Volkszählung im Jahr 2010 die Wahlbezirke in Florida neu aufgeteilt wurden, ging ein Aufschrei durch die Bevölkerung. Zwei zusätzliche Wahlbezirke sollten eingerichtet werden wegen des großen Bevölkerungszuwaches durch Latinos. Doch gerade diese Gruppe wurde durch die Grenzziehung der Republikaner benachteiligt. "Wenn Minderheiten konstant für eine Partei stimmen, kann natürlich ihr Einfluss verringert werden, wenn die Wahlbezirke taktisch klug aufgeteilt werden", sagt Adam Cox, Jus-Professor an der New York University zu derStandard.at. In Florida wurde auch der oberste Gerichtshof mit der Thematik befasst, gab allerdings schließlich seinen Segen.

Gegner Schwarzenegger

Einer der vehementesten Kritiker des Gerrymanderings in der Vergangenheit war Arnold Schwarzenegger. "Was ist das für eine Demokratie? Das System hilft denen, die im Amt sind. Nicht aber denen, die sie gewählt haben", meinte Schwarzenegger im Jänner 2005. Während seiner Zeit als Gouverneur von Kalifornien trat er dafür ein, die Wahlkreisziehung nicht mehr den Politikern zu überlassen, sondern diese Aufgabe pensionierten Richtern zu übertragen. Dieser Vorschlag wurde zwar nicht umgesetzt, stattdessen gibt es seit einer Volksbefragung in Kalifornien im Jahr 2008 eine eigene Kommission, die sich um die Grenzziehungen kümmert und deren Mitglieder in einem langwierigen Prozess unter über 30.000 Bewerbungen ausgewählt wurden.

Republikaner im Vorteil

Politische Beobachter vermuten, dass das Gerrymandering die in den vergangenen Jahren starke inhaltliche Polarisierung der zwei Großparteien im Kongress mitverursacht hat. Nolan McCarty (Princeton), Keith Poole (UC San Diego) und Howard Rosenthal (NYU) stellen diese These in einem Artikel des American Journal of Political Science jedoch in Abrede und weisen nach, dass es keinen direkte Auswirkung auf die Politik in Washington feststellbar ist. Die Auswirkungen des Gerrymandering könnten gar nicht diese Ausmaße annehmen, da durch eine Vielzahl von Regelungen gewährleistet ist, dass die Wahlbezirke kompakt sein müssen und die annähernd gleiche Bevölkerungszahl haben müssen. Ausschlaggebend für die starke Polarisierung politischer Ansichten sei eher, dass immer mehr Amerikaner ihren Wohnort nach sozialen und politischen Kriterien auswählen.

Derzeit sind es die Republikaner, die von der strategischen Festlegung der Wahldistrikte politisch am meisten profitiert haben. Langfristig gesehen könnte jedoch den Demokraten ein Vorteil erwachsen, alleine deshalb, weil die Anzahl der Immigranten und Frauen wächst und diese tendenziell eher demokratischen wählen.

Geringer Effekt bei Präsidentenwahl

Adam Cox erklärt im Gespräch mit derStandard.at, dass die Effekte des Gerrymanderings auf die Präsidentschaftswahl nur gering sind: "Die Wahlkreise spielen bei der Präsidenten-Wahl nur eine indirekte Rolle. Wenn Wähler in ihrem neuen Wahlbezirk das politische Interesse verlieren, weil sie sowieso der Meinung sind, dass ihr Kandidat nicht gewinnen kann, dann werden sie möglicherweise nicht nur bei Kongress-Wahlen zuhause bleiben. Aber dieser Effekt ist eher gering, da die meisten, wenn sie denn wählen gehen, noch am ehesten zur Präsidentschaftswahl gehen."

Der derzeitige Präsident Barack Obama verdankt seinen Erfolg ebenfalls den auf seine Wählerschaft zugeschnittenen Wahlbezirken. Nachdem Obama 1999 daran scheiterte in den Kongress einzuziehen, wurden die Wahlbezirke, in denen er antrat, entsprechend adaptiert. Dadurch fielen Obama Teile der Gold Coast zu, in der das reiche Chicago seine Heimat hat, er behielt aber die Mehrzahl der afro-amerikanisch dominierten Viertel. 2004 konnte er schließlich in den US-Senat einziehen, der Startschuss zu seinem Aufstieg bis hin zum Präsidentenamt. (Teresa Eder/derStandard.at, 9.10.2012)