Jetzt heißt's aber wirklich beeilen: Bis 28. Oktober bewirtet Familie Holzer an der schönen Adresse Hinteregg 1, hoch über Matrei, ihre Gäste. Und dann halt wieder im Frühjahr 2013. Die lange Pause kann man verstehen, wenn man bei Holzers einmal ins Kräuterbeet gebissen hat. Diese bunte, hoch spannende Vielfalt ist halt im Winter halt eher nicht so verfügbar, jedenfalls nicht so frisch aus der Erde.
Da haben wir den Salat
Bunte, spannende Vielfalt, soweit reicht's gerade beim Fidler, auch wenn seine kleine, dreckige Gastrokolumne ziemlich irreführend Schmeck's heißt. Vielleicht reicht's gerade noch zu einem Kalauer Marke "Da haben wir den Salat". Aber was da so alles drin ist zu erschmecken: no way.
Gut, dass die, jedenfalls solang ich da war, stets fröhliche Tochter der Frau Wirtin geduldig aufzählt, was so alles unter dem Titel "Kräuterbeet" auf den Teller kommt, jedenfalls Anfang Oktober, weil das ändert sich natürlich mit der Jahreszeit. Und zwar (soweit ich mitschreiben konnte, Schreib- oder Hörfehler nicht ausgeschlossen): Muskatellersalbei, Ananassalbei, Mandarinensalbei, Poleiminze, Marrokanische Minze, Krause Minze, Mandarinenminze, Bananenminze, Quendel (also wilder Thymian), Zitronenthymian, Liebstöckl, Korianderkraut, Petersilie, Schnittlauch, ein bisserl Salat und Kraut war auch drunter, soviel kann ich beitragen. Und selbstgemachtes Joghurt, ergänzt Frau Wirtstochter.
Am Tonic weiden
Gut, dass ich mich auf das grün-bunte Chaos (und das eifrige Mitschreiben) fachgerecht eingestimmt hatte: So ein Weidentonic schmeckt praktisch wie ein naher Verwandter von ausgerauchtem Kräuterlift (gibt's das noch), hat aber absichtlich nie Kohlensäure gesehen, schmeckt auch deutlich besser und stärkt für kommende Aufgaben.
Aber erst will der Fidler wissen, woran er sich da gerade geweidet hat. Frau Wirtstochter ist wieder gefragt. Sie sagt trocken: Weidenrinde und Weidenrute, dazu Zitrone. Gut, da hätt er jetzt selber draufkommen können, der Fidler.
Unkrautsuppe
Erfrischend auch die Artikelbezeichnung für die heiße Tasse hoch über Matrei. Unkrautsuppe. Vergeht leider doch, und zwar schneller als man denkt, wenn sich der Fidler daran vergeht. Aber während der zwischendurch einen geradezu nudeligen Geschmack auf der Zunge hat, auch wenn sich drin weit und breit keine Nudel findet, reiner Ulk also, weiß die Frau Wirtstochter, was der Fidler da tatsächlich auslöffelt.
Nämlich, vermutlich nicht vollständig: Vogelmiere, Giersch, Guter Heinrich, Brennesseln, Sauerampfer, Weiß- und Rotklee und Kartoffelstücke vom Bauern in Pregarten, falsch, danke für den Hinweis, korrekt: Prägraten gleich ums Eck. Dazu sowieso ebenso selbstgemachte Holzofenbrot mit ordentlich Anis, mit fast ein bisschen sehr ordentlich Anis, aber schon sehr gut. Ach, egal, auch mit ordentlich Anis wirklich super.
Ach, Reh
Vielleicht hätt ich doch weiter vor mich hin blättern sollen. Aber wenn ein Rehschlögel aus der eigenen Jagd auf der Karte steht, kann ich nicht daran vorübergehen. Was soll ich sagen: Das Reh war wirklich fein, gar nicht trocken, sehr schön. Die Spätzle, die hier sicher anders heißen, und das Rotkraut wunderbar. Allein: Die Sauce ist mir schon ein bisserl zu kräftig eingekocht, reduziert, wie immer man da sagt in Hinteregg.
Die Wirtstochter lächelt, als ich sie ganz vorsichtig frage, ob die Sauce womöglich doch ein bisserl salzig sein könnt. Oder jedenfalls sehr, sehr konzentriert und damit von merkbarer Schärfe. "Die kocht schon lang", sagt sie. Soll mir wirklich nichts Schlimmeres passieren. Und dem Reh. Auf dem Prachtbalkon vor dem Prachtbergpanorama bei Prachtwetter. Hach.
Das Blöken der Lämmer
Nur vor dem Prachtbalkon, scheint mir, ist jemand mit der Gesamtsituation nicht restlos zufrieden: Da blökt eines der Lämmer recht beleidigt. Vielleicht hat ihm sein Bruder oder sein Schwesterl den schönsten Klee weggezupft, sich reingelegt oder sonstwas Unerfreuliches damit gemacht. Vielleicht war die Frau Mama heute nicht so touchy. Oder vielleicht verschwand die Prachtsonne schon wieder ein bisserl früher hinterm nächsten Berg.
"Unsere Spezialität sind Lämmer im Heu gebraten", erklärt mir die Wirtstochter auf Anfrage. Aber für die, ergänzt sie, ist das noch kein Thema. Ich kann nur raten: Rechtzeitig früh im Frühjahr 2013 nach Matrei. Sonst sind die Wuschel womöglich schon im Heu gegart und gegessen. Von mir. Ich hab schon im März im Kalender eingetragen: Strumerhof fragen, wann er heuer öffnet.
Slow Food schnell Schluss
Zu spät kam ich in Osttirol leider bei einem weiteren Tipp Jürgen Schmückings, der gelegentlich auch schon bei Schmeck's gastierte, für den hier wieder einmal wärmstens zu empfehlenden österreichischen Slow-Food-Führer, herausgegeben von Severin Corti und Georg Desrues: Das ebenfalls sehr nett klingende Perfler in Sillian hat schon wieder zu. (Harald Fidler, derStandard.at, 9.10.2012)