Von Berlin bis zur schwedischen Hafenstadt Malmö, von Wien bis Budapest werden in der letzten Zeit antisemitische Vorfälle gemeldet. Bei vergleichbaren Vorgängen reagiert die offizielle Politik jeweils anders, und bei der Bewertung der Vorfälle, auch in Österreich, ist die Differenzierung absolut notwendig

Gerade angesichts des judenfeindlichen Bodensatzes muss man solche positiven (wenn auch überfälligen) Gesten gegenüber noch lebenden vertriebenen österreichischen Juden wie die "Heimholung" des aus Wien stammenden herausragenden israelischen Publizisten Ari Rath oder die Anerkennung und Einladung des Nobelpreisträgers Eric Kandel würdigen. In diesen Rahmen fügte sich die bewegende Eröffnungsfeier am Sonntag anlässlich der Generalsanierung des Bethauses und des Besucherzentrums beim Währinger Friedhof, der zweitältesten und seit 1885 nicht benützten jüdischen Ruhestätte Österreichs.

Zwei Redner waren bei dieser Feierstunde auf unterschiedliche Art und Weise auch symbolträchtig für die tief verwurzelten Verbindungen zwischen Wien und Budapest: Oberrabbiner Chaim Eisenberg, dessen in Budapest geborener Vater Akiba, der nach 1945 der erste Nachkriegsoberrabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien gewesen war und Andreas Mailath-Pokorny, der Stadtrat für Kultur und Wissenschaft als Vertreter der Gemeinde Wien, die die Sanierung der Gedenkstätte des in der NS-Zeit ausgelöschten Judentums fördert. Der Stadtrat, dessen Vorfahr aus dem ungarischen Hochadel, Graf Johann Mailath, durch historische Lektionen die Sympathie der jungen Kaiserin Elisabeth für Ungarn mitgeprägt hatte, stellte auch die Frage: "Was wäre Wien ohne den Beitrag des Judentums gewesen?"

Unter dem Titel "Botschaften aus Österreich" meinte der Leitartikler des regierungsfreundlichen "Magyar Hirlap" dieser Tage allerdings nicht solche Erinnerungen. Der ehemals hohe Beamte des kommunistischen Bildungsministeriums warf Österreich nämlich die Absicht vor, durch die jüngste ORF-TV-Dokumentation über Ungarn oder das "Presse"-Interview mit dem früheren sozialistischen Regierungschef Ferenc Gyurcsány die Fidesz-Regierung stürzen und einen den ungarnfeindlichen Verleumdern genehmen und lenkbaren "Statthalterrat" einsetzen zu wollen.

Dass allerdings der Antisemitismus in Ungarn ungleich virulenter ist als etwa in Österreich zeigen nicht nur die Umfragen, sondern auch die jüngsten Vorfälle. Freitag griffen zwei junge Männer vor einem Gebetshaus den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Süd-Pest tätlich an and und traten ihn in den Bauch. Sie riefen: "Ihr stinkenden Juden, ihr werdet verrecken." Durch die schnelle Benachrichtigung der Polizei konnten später die beiden Täter festgenommen und angezeigt werden. Einige Tage vorher haben Unbekannte zum ersten Mal in der Geschichte einen vor drei Tagen eingesetzten Stolperstein im 12. Bezirk für ein Holocaustopfer entfernt. Die jüngste Blut-und-Boden-Rede des Ministerpräsidenten und die kaum kodierten antisemitischen Töne in den Fidesz-Medien beunruhigen die jüdische Gemeinde zu Recht mehr als die offene Judenfeindschaft der rechtsradikalen Jobbik-Partei. (Paul Lendvai, DER STANDARD, 9.10.2012)