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Kalligraphin Annika Rücker in ihrem Atelier in Hagenbrunn

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

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Rücker gestaltet seit vielen Jahren Originalurkunden für die Nobelpreise.

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Hagenbrunn - Seit fast einem Vierteljahrhundert gestaltet Annika Rücker die Originalurkunden für die Nobelpreise in Physik, Chemie und Literatur, sowie für den Preis für Wirtschaftswissenschaften in Gedenken an Alfred Nobel kalligraphisch. 185 der hoch begehrten Auszeichnungen stammen aus ihrer Feder, erzählte die Kalligraphin, während sie mit einer Gänsekielfeder in ihrem lichtdurchfluteten Atelier im Weinviertel einen Schriftzug vollzieht. 1988 hatte sie mit den Urkunden für Physik, Chemie und Wirtschaftswissenschaften begonnen, 1989 kam die Literatur hinzu.

Die in Schweden geborene Tochter eines Österreichers lebt seit sechs Jahren in Hagenbrunn (Bezirk Korneuburg) am Fuße des Bisambergs in Niederösterreich. Seit diesem Umzug werden ihre Arbeiten besonders gelobt, freute sie sich: "Das liegt am guten Licht." Gerade die Wochen, in denen sie an den Urkunden arbeitet, seien in Schweden "sehr dunkel" - sie genieße den Herbst hier. Als "halbe" Österreicherin habe sie vielleicht sogar ein bisschen mehr "österreichisches" als "schwedisches Blut" in sich, lachte Rücker. Ihre Familie sei bereits 1972 nach Österreich umgezogen. Bei einem Besuch habe sie sich in ein kleines Häuschen in dem Ort, in dem ihre Schwester lebt, "verliebt" und gescherzt, sie käme auch, wenn es frei würde. Eines Tages rief ihr Schwager an, dass das der Fall sei - und sie kam. In einem modernen Anbau aus Glas hat sie ihr Atelier eingerichtet.

Ledermappe für Preisträger

Jeder Preisträger erhält eine Ledermappe - blau für Physik, rot für Chemie, natur-beige für Wirtschaft und seit einigen Jahren schwarz für Literatur - mit dem von Rücker entworfenen Monogramm in Blattgold auf der Vorderseite und darin auf einer Seite ein thematisch passendes Bild eines schwedischen Künstlers und auf der anderen das Diplom. Rücker arbeitet eng mit einem Buchbinder in Schweden und vier Künstlern zusammen. Sie habe dabei völligen Gestaltungsspielraum, "da mischt sich niemand ein." Für die österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek etwa entschied sie sich für einen sogenannten "Blinddruck" des Monogramms: "Für sie konnte ich mir das einfach nicht in Gold vorstellen."

Für die Urkunden verwendet die Kalligraphin, die ebenso wie schon ihr Vater an der "Angewandten" in Wien studiert hatte, handgeschöpftes Papier, das sie aus Schweden bezieht, wo es eigens für die hohen Anforderungen ihrer Arbeiten mit der Feder hergestellt wird. Das Schwierigste sei, dass sie sich nicht vorbereiten könne, erzählte Rücker. Sie erfahre erst aus den Medien, wer die Preise gewonnen hat und müsse dann auf der Stelle - und unter Zeitdruck - beginnen, an den Urkunden zu arbeiten. Sie wisse vorher ja nicht einmal, wie viele Urkunden gebraucht werden, da ein Preis ja an mehrere Personen gehen kann; und sie recherchiere für jedes Stück. "Das Monogramm jedes Preisträgers soll persönlich werden", betonte Rücker. "Ich schreibe mit Farben, um die Schrift lebendig zu machen."

Jede Urkunde, jedes Monogramm sei abgestimmt auf die betreffende Persönlichkeit. Farblich orientiert sie sich auch an dem Bild, von dem ihr die Künstler eine Kopie schicken. Rücker erklärte etwa die Urkunde für Jean-Marie Gustave Le Clezio (Literaturnobelpreis 2008): "Er ist ein langer dünner Mann, und so sind auch die Buchstaben lang und dünn." Dass sie sich in die Arbeiten für den Literaturnobelpreis besonders vertieft, liege auch daran, dass die Welt speziell auf diese Kategorie achte. Mit Physik oder Chemie würden sich "normale Menschen" ja weniger auskennen.

"Ich bin ein Naturmensch und kenne mich gut aus mit Pflanzen und Vögeln. Das inspiriert mich." Inspiration kommt manchmal auch per Zufall - wie bei Le Clezio, der von sich sagte, er sei ein Indianer. Zufällig hatte sie drei Wochen vor der Bekanntgabe seiner Auszeichnung in der damaligen Schallaburg-Ausstellung Eindrücke über die Ureinwohner am Amazonas gesammelt und diese in das Monogramm des Franzosen eingearbeitet.

Eine Geschichte hinter jedem Literaturnobelpreis-Monogramm

Eine Geschichte verbirgt sich hinter jedem Literaturnobelpreis-Monogramm, erzählt die Kalligraphin vom "Katzengesicht" der Doris Lessing (2007) oder von den Moscheen, die sich im Bosporus spiegeln für Orhan Pamuk (2006), aber auch der Gefangenschaft in Buchenwald von Imre Kertesz (2002). Rücker arbeitet mit Buchstaben, die eine Geschichte erzählen. Manchmal geht ihr das ganz leicht von der Hand, andere Male braucht sie länger, um diese zu entschlüsseln. Schön ist es für sie, wenn der Mensch, der den Preis erhält, auch etwas "von sich hergibt", ein "farbenstarker Mensch" ist. Das mache ihre Arbeit leicht. Als Dario Fo (1997) geehrt wurde, ging sie in ein Theaterstück von ihm und bereits am Heimweg in der U-Bahn kritzelte sie auf Zettel, die sie in der Tasche hatte, erste Entwürfe.

Um den 20. November müssen die fertigen Urkunden in Stockholm sein. Dann werden sie unterschrieben und erhalten das Siegel der Akademie. Erstmals ist die Kalligraphin heuer nicht zur Preisverleihung nach Stockholm - traditionell am 10. Dezember - eingeladen. Das läge wohl an Einsparungen, meinte sie, fühlte sich aber doch vor den Kopf gestoßen. Außerdem habe sich bisher noch niemand bei ihr gemeldet, ob sie denn auch heuer die Arbeit übernehme - davon wird offenbar ausgegangen. Sobald die Namen der Preisträger publik gemacht werden, macht sie sich jedenfalls trotz allem an die Arbeit, um die Urkunden zeitgerecht zu liefern. (APA/red, derStandard.at, 9.10.2012)