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SPÖ-Abgeordneter Josef Weidenholzer kritisiert seine eigene Partei: "Die wirklichen Fragen werden überhaupt nicht berührt."

Foto: Reuters/Herwig Prammer

"Das ist zum Verzweifeln", sagt Josef Weidenholzer, SPÖ-Abgeordneter im EU-Parlament. Die Sozialdemokratie demontiere sich selbst, dabei müsste sie "gerade in dieser historisch bedeutenden Situation eine Alternative formulieren, die klar sichtbar wird". Stattdessen verliere sich die Politik in sinnlosen persönlichen Auseinandersetzungen. Auch an seinen EU-Parlamentskollegen aus Großbritannien übt Weidenholzer im Gespräch mit derStandard.at Kritik: "Es ist mühselig, wenn bestimmte Kräfte ununterbrochen gegen Europa auftreten. Die stellen sich sogar ihre britischen Fahnen auf die Sitze."

derStandard.at: Als EU-Parlamentarier konnten Sie die Entstehung des Europäischen Rettungsschirms "vor Ort" mitverfolgen. Nun ist er in Kraft getreten, es gibt  jedoch große Bedenken. Werner Kogler von den Grünen sieht die Gefahr, dass in erster Linie die Banken und Spekulanten "gerettet" werden.

Weidenholzer: Es war wichtig, dass die sogenannten Märkte beruhigt werden. Die ganz wilde Zockerei ist nun beendet. Es gibt viele Sicherungsmechanismen, damit das Geld nicht den Spekulanten in den Rachen geschoben wird. Doch das wirkliche Problem löst der ESM nicht. Wir müssen zu einem anderen System kommen, in dem die Banken reguliert werden. Es ist allerhöchste Zeit, dass sämtliche Maßnahmen, die wir im Europäischen Parlament beschlossen haben, vom Rat umgesetzt werden. Die Briten müssen endlich aufhören zu blockieren. Doch diesbezüglich gibt es leider viel zu wenig politischen Druck.

derStandard.at: Und wenn die Briten ihren Widerstand nicht aufgeben?

Weidenholzer: Dann muss man sich überlegen, wie man Europa ohne die Briten macht. Es gibt immer wieder Drohungen des britischen Regierungschefs David Cameron, ein Referendum abzuhalten. Irgendwann muss man sich in Großbritannien die Frage stellen: Will man EU-Mitglied sein oder nicht? Dieser Augenblick wird sich in den nächsten zwei, drei Jahren ergeben. Es kann nicht so sein, dass ein Land die anderen ewig in Geiselhaft nimmt.

derStandard.at: Glauben Sie, dass Europa besser arbeiten könnte ohne Großbritannien?

Weidenholzer: Nein. Die Labour Party hat sehr deutlich erkannt, wie wichtig Europa für die Briten ist. Aber es ist mühselig, wenn bestimmte Kräfte ununterbrochen gegen Europa auftreten. Die stellen sich sogar ihre britischen Fahnen auf die Sitze. Entweder sie tragen das europäische Projekt mit oder nicht. Die Briten sollen sich entscheiden.

derStandard.at: Stellen Sie sich vor, die Briten halten ein Referendum ab und treten dann aus. Was würde das für die EU bedeuten?

Weidenholzer: Alle Mitgliedsstaaten haben das Recht auszutreten. Europa ist so attraktiv, dass es keinen Sinn macht auszutreten. Die Briten müssen sich fragen: Sind sie die Freunde der Amerikaner oder die Freunde der Europäischen Union?

derStandard.at: Sprechen wir über "Ihre" Partei, die SPÖ. Sie haben in einem Blogeintrag unter dem Titel "Sonntagsdepression" geschrieben: "Selten hat sich eine Partei so sehr selbst demontiert, wie dies der SPÖ in den letzten Monaten gelungen ist." Inwiefern hat sich die SPÖ selbst demontiert?

Weidenholzer: Wir haben eine Situation, in der die SPÖ eigentlich nicht bei 26 Prozent liegen sollte, sondern weit über 30 Prozent. Die SPÖ hat grundsätzlich recht bekommen mit ihrer inhaltlichen Position. Wir leben in einer Wirtschaftskrise, ihre Antworten sind die richtigen. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern stehen wir, was die Wirtschaftsentwicklung und die Arbeitslosigkeit betrifft, gut da.

derStandard.at: Warum kann die SPÖ diese Situation nicht besser für sich nutzen?

Weidenholzer: Es gibt in Österreich ein sehr großes Potenzial von großteils jungen politischen Menschen, das in keiner Weise wirksam wird. Das ist zum Verzweifeln. Die Sozialdemokratie müsste gerade in dieser historisch bedeutenden Situation eine Alternative formulieren, die klar sichtbar wird. Stattdessen verliert sich die Politik in ziemlich sinnlosen persönlichen Auseinandersetzungen und im Parteien-Hickhack. Die wirklichen Fragen werden überhaupt nicht berührt.

derStandard.at: Wir kommt es, dass die jungen progressiven SozialdemokratInnen in der Partei nicht vorankommen?

Weidenholzer: Das Problem ist, dass sich der politische Überbau und die politischen Institutionen seit Jahrzehnten nicht verändert haben. Die Welt ist weitergezogen, doch das politische System in Österreich ist so, wie es nach 1945 entstanden ist. Die Sozialdemokratie ist Teil dieses Systems. Sie war in ihrem Ursprung eine oppositionelle Bewegung, die Reformen formulieren konnte. Doch das ist weitgehend verloren gegangen. Das Konzept Partei ist seit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts gleich geblieben, es gibt keine Beteiligung inhaltlicher Natur. Auch gibt es keine Angebote für Menschen, die in neuen Medien aktiv sind. Das alles findet in dieser Struktur keine Berücksichtigung. Das ist eines der gravierendsten Probleme.

derStandard.at: Machen Sie es sich nicht einfach, wenn Sie sagen, die Struktur ist schuld? Es gibt handelnde Akteure, die, die Jungen nach vorn kommen lassen können.

Weidenholzer: Diese Diskussionen gibt es schon ewig: Kann man innerhalb des Systems Revolution machen? Aber Personaldiskussionen sind verzichtbar, wenn man nicht überlegt, wie die Strukturen aussehen sollen. Man muss das gesamte politische System reformieren nicht nur eine einzelne Partei. Die Menschen müssen stärker mit einbezogen werden, so kann man sie auch wieder in das politische System zurückführen.

derStandard.at: Der SPÖ stünde es auch in diesem System frei, in einzelnen Fragen zumindest die Basis zu befragen. In der Wehrpflichtfrage hat einzig die Führungsriege über die neue Parteilinie entschieden.

Weidenholzer: Man sieht, dass in der wehrpolitischen Frage ein großer Diskussionsbedarf vorhanden ist. Man kann kein einzelnes politisches Thema ohne Miteinbeziehung der BürgerInnen behandeln. Wohin das führt, wenn man das nicht tut, sieht man jetzt sehr gut. Die Populisten haben nur dann keine Chancen, wenn die Menschen beteiligt werden.

derStandard.at: Glauben Sie, dass Stronachs Aufwind die Großparteien zum Umdenken bewegen kann?

Weidenholzer: Man würde ihm nicht so ein großes Forum geben, wenn er nicht mit entsprechenden finanziellen Mitteln ausgestattet wäre. Aber sein Zuspruch zeigt, dass es in der Bevölkerung eine große Sehnsucht gibt, den bestehenden politischen Betrieb zu überwinden. Diese Idee hatten auch Haider und Strache. Letztlich haben sie jedoch nichts bewirkt.

Die etablierten Parteien haben daraus nichts gelernt, sondern sie haben sich vor diesem Phänomen gefürchtet. Sie haben getan, was die Populisten gefordert haben, siehe die "Ausländerfrage". Die Menschen wollen aber, dass die Politik mit Leistung überzeugt. Es geht immer nur darum, die anderen zu verhindern.

derStandard.at: Am Samstag wird Werner Faymann wieder zum Vorsitzenden der SPÖ gewählt - ohne Gegenkandidaten. Würden Sie sich einen solchen wünschen?

Weidenholzer: Nüchtern betrachtet: Faymann hat eine erfolgreiche Bilanz als Bundeskanzler vorzulegen. Eine Gegenkandidatur wäre nicht im Sinne der Partei. Generell betrachtet ist es sicher sinnvoll, wenn es bei Neubesetzungen von Positionen eine breite Diskussion gibt.

derStandard.at: Welche Stimmung bekommen Sie diesbezüglich von der Basis mit. Es wäre doch eine Katastrophe, müsste die SPÖ kurz vor der Wahl den Parteichef austauschen.

Weidenholzer: Das ist ein Fall, der zurzeit völlig hypothetisch ist und über den man nicht spekulieren sollte. Es kann immer etwas Unvorhergesehenes passieren. Zurzeit sehe ich überhaupt keine Ansätze, dass das ein Thema wäre.

derStandard.at: Die SPÖ gibt sich ein neues Partieprogramm, koordiniert von Karl Blecha. Was ist Ihnen diesbezüglich wichtig?

Weidenholzer: Ich hoffe, dass es ein breiter Diskussionsprozess wird, in dem die Entscheidungen offen und transparent fallen. Wir brauchen in Österreich dringend einen politischen Reformprozess. Wir müssen über die politischen Strukturen des Landes sprechen. Außerdem ist mir ein wichtiges Anliegen: Wir brauchen dringend Politische Bildung als Schulfach in allen Schulstufen. Nur dann haben wir mündige BürgerInnen. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 12.10.2012)