Vilnius - In Litauen fragt man sich nicht mehr, ob der konservative Regierungschef Andrius Kubilius mit seiner Vaterlandsunion die Parlamentswahlen am 14. Oktober verliert, sondern nur noch wie hoch. In dem baltischen Land zeichnet sich ein Machtwechsel ab. In Meinungsumfragen schneiden die oppositionellen Sozialdemokraten und die Arbeitspartei momentan am besten ab. Eine Koalition der beiden Parteien hat derzeit rechnerisch die besten Chancen. Über ein Viertel der Wähler ist aber noch unentschlossen.

Nach seinem Wahlsieg im November 2008 bekämpfte Kubilius die Wirtschaftskrise gemeinsam mit seinen kleineren Koalitionspartnern Liberale Bewegung und Liberale und Zentrumsunion mit einem rigiden Sparprogramm, das das baltische Land in eine Rezession stürzte. Kritiker warfen der Regierung vor, sie habe sich auf Kürzungen und Steuererhöhungen konzentriert, dabei aber zu wenig für die Ankurbelung der Wirtschaft getan. Zwar hat die Wirtschaft mittlerweile wieder an Fahrt gewonnen, aber Tausende Litauer sind emigriert und die Arbeitslosigkeit liegt bei 13 Prozent. Das Problem der Schattenwirtschaft, Experten schätzen sie auf 30 bis 40 Prozent, hat die Regierung nicht in den Griff bekommen.

Euro-Einführung geplant

Trotz der Eurokrise hat Ministerpräsident Kubilius die Einführung der Gemeinschaftswährung für 2014 angepeilt. Ein Regierungswechsel könnte Litauens Beitritt zum Euro verzögern. Algirdas Butkevicius, Vorsitzender der Sozialdemokraten, will den Beitritt um mindestens ein Jahr nach hinten schieben. Keine der großen Parteien stellt jedoch den Euro an sich in Frage.

17 Parteien, ein Wahlbündnis und mehrere unabhängige Kandidaten treten zur Wahl an. Beinahe 2000 Kandidaten bewerben sich um die 141 Parlamentssitze - soviel wie nie zuvor. Doch das Interesse der Wähler am Urnengang hält sich in Grenzen. Beobachter erwarten, dass, wie schon in früheren Jahren, nur die Hälfte der 2,6 Millionen Wahlberechtigen ihre Stimme abgeben wird. "Den Menschen ist das alles egal," sagt Vytautas Bruveris, innenpolitischer Kommentator bei der größten Tageszeitung Lietuvos rytas. Eine Besonderheit des litauischen Wahlsystems ist, dass die Wähler ihre Stimme zweimal abgeben müssen. Am Sonntag werden 70 Mandate nach dem Verhältniswahlrecht vergeben, zwei Wochen später die übrigen 71 als Direktmandate.

Populistische Partei im Aufwind

In diesem Jahr macht eine kleine populistische Partei namens Weg des Mutes von sich reden. Sie entstand nach einem Skandal um ein vermeintliches Pädophilie-Netzwerk, der vor zwei Jahren in Litauen für erhebliche Schlagzeilen sorgte. Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite übte damals heftige Kritik an der mangelnden Tätigkeit der Behörden. Weg des Mutes habe sich den Kampf gegen das "verfaulte und korrupte System" auf die Fahnen geschrieben, so Bruveris, der mit einem guten Abschneiden der Partei rechnet. "Es gibt eine Menge Wut in der Gesellschaft."

In einer rechtlich nicht bindenden Volksabstimmung stimmen die Litauer am Sonntag auch über den Bau eines neuen Atomkraftwerkes ab. Abgesehen von den Sozialdemokraten und den Grünen stehen die meisten Parteien hinter dem Projekt. Für die Wähler sei das Thema jedoch eher zweitrangig, meint Bruveris. "Atomkraft und Energieunabhängikeit sind für die Vaterlandsunion zentrale Themen. Die Bevölkerung interessiert sich eher für Einkommen, Arbeitsplätze, Heizkosten und ganz allgemein die Entwicklung der Lebenshaltungskosten." (APA)