Wien - ÖVP und SPÖ haben sich nach langem Tauziehen auf ein Familienrechtspaket geeinigt. Es sieht vor, dass das Gericht künftig die Möglichkeit haben soll, bei strittigen Scheidungen eine gemeinsame Obsorge zu verfügen, wenn dies dem Kindeswohl entspricht. Ledige Väter bekommen ein Antragsrecht auf Obsorge. Neuerungen sind auch bei Besuchsrecht und Namensrecht geplant. Justizministerin Beatrix Karl von der ÖVP sprach bei der Präsentation am Mittwoch von einem "Meilenstein im Interesse der Kinder", für Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) ist ein "wirklich großer Wurf" gelungen.

Testphase für uneinige Eltern

Neu ist, dass es bei Obsorge-Streitigkeiten eine Art Testphase geben soll, bevor der oder die RichterIn endgültig entscheidet: Das Gericht legt für eine sechsmonatige "Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung" eine Lösung fest. Beide Elternteile sollen in dieser Zeit Kontakt zum Kind haben, die bisherige Obsorgeregelung bleibt inzwischen aufrecht. Das Verhalten während dieser Zeit soll dann in die Letzt-Entscheidung des Gerichts einfließen. Ist ein Elternteil beispielsweise gewalttätig, kommt es freilich gar nicht zu dieser Testphase, wurde versichert.

Gibt es keine Einigkeit zwischen den Eltern über das Sorgerecht, hat das Gericht dann künftig nicht nur wie jetzt die Möglichkeit, einen Elternteil allein mit der Obsorge zu betrauen, es kann auch die gemeinsame Obsorge verfügen - wenn es dem Kindeswohl am besten entspricht. Für Heinisch-Hosek ist das "das Gegenteil einer Automatik", gegen die sie ja immer aufgetreten ist, denn das Gericht entscheide in jedem Fall einzeln. Die ÖVP wiederum feierte in Aussendungen, dass die gemeinsame Obsorge nun zum "Regelfall" werde.

Ledige Väter dürfen künftig Anträge stellen

Die Regierung setzt mit dem Paket auch Forderungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Verfassungsgerichtshofs um, indem ledige Väter ein Antragsrecht auf alleinige oder gemeinsame Obsorge erhalten. Die Entscheidung liegt bei Gericht. Besteht Einvernehmen, können Eltern eines unehelichen Kindes künftig das gemeinsame Sorgerecht einfach am Standesamt vereinbaren.

Weitere Punkte im Entwurf: Das Kindeswohl wird definiert und im Gesetz verankert, die Familiengerichtshilfe (Begleitung durch Pädagogen und Psychologen) wird österreichweit ausgebaut und "Besuchsmittler" sollen die Einhaltung der Kontaktvereinbarungen prüfen. Das Besuchsrecht wird zum "Kontaktrecht" und soll künftig besser durchsetzbar werden, RichterInnen sollen beispielsweise die Möglichkeit bekommen, einen Besuch bei der Familienberatung anzuordnen. Geändert wird auch das Namensrecht: Künftig können etwa alle Familienmitglieder einen Doppelnamen führen.

Der Entwurf sollte noch am Mittwoch in Begutachtung gehen und mit 1. Februar 2013 in Kraft treten.

Kritik: "Verlängerung des Rosenkriegs"

Während die Regierungsparteien in Aussendungen die Einigung bejubelten, übte die Opposition Kritik: "Zu denken, dass eine gesetzlich verordnete gemeinsame Obsorge, auch wenn die Eltern sich streiten, dem Kindeswohl dient, ist absurd und realitätsfremd", finden die Grünen. Für das BZÖ wurde hingegen die Chance, dass die gemeinsame Obsorge zum Regelfall werde, "leider verpasst". Vorsichtige Zustimmung kam von der FPÖ, die das Familienrechtspaket aber noch kritisch prüfen will. Nicht zufrieden mit dem Entwurf ist der "Österreichische Frauenring": So sei etwa die geplante Testphase "eine Verlängerung des Rosenkriegs, der auf dem Rücken der Kinder ausgetragen wird". (APA, 10.10.2012)