Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits.

Foto: Regine Hendrich

"Eigentlich entscheiden im Moment nicht die Gerichte, sondern die Gutachter", sagt Monika Pinterits.

Foto: Regine Hendrich

Am Mittwoch haben sich Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) auf Änderungen bei der gemeinsamen Obsorge geeinigt. Die Wiener Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits vermisst in dem Gesetzesentwurf eine dem Gericht vorgelagerte Stelle, die Eltern informiert und außergerichtlich Lösungen sucht. Kinder bräuchten klare Verhältnisse und einen Orientierungsrahmen, wie es mit der Familie weitergehen wird. Ihnen nicht klar zu sagen, in welcher Situation sich die Eltern befinden, sei der falsche Weg. Die Anwältin wünscht sich außerdem mehr Ansehen für die Pflegschaftsrichterinnen und -richter. Denn deren Ruf lasse derzeit zu wünschen übrig, sagt sie im Gespräch mit derStandard.at.

derStandard.at: Ist die neue Regelung der große Wurf, als der sie verkauft wird?

Pinterits: Es ist immer schwierig, in so hochsensiblen menschlichen Bereichen etwas rechtlich festzuschreiben. Prinzipiell sollten Kinder das Recht auf beide Elternteile haben – aber nicht um jeden Preis. Wenn Gewalt im Spiel ist, gilt das natürlich nicht.

derStandard.at: Was vermissen Sie am aktuellen Entwurf?

Pinterits: Wir hätten gerne eine dem Gericht vorgelagerte Stelle gehabt, wie sie zum Beispiel bei Nachbarschaftsstreitigkeiten üblich ist. Dort sollte zunächst ein Clearing gemacht und geschaut werden, was im Einzelfall Sache ist und wie man die Eltern unterstützen kann, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Denn was die Eltern selber entscheiden, ist tragfähiger. Das hilft auch den Kindern in der ohnehin nicht leichten Situation. Sobald das Gericht im Spiel ist, müssen sich die Eltern gegenseitig schlechtmachen. Was das Gericht anordnet, ist dann für viele Eltern nicht stimmig.

derStandard.at: Ist ein Gerichtsverfahren für ein Kind immer belastend?

Pinterits: Das kommt darauf an, wie lange es dauert und wie schwierig es ist. Was Kinder brauchen, sind Information und Klarheit darüber, was innerhalb der Familie passiert. Man schützt Kinder nicht, wenn man ihnen einfach nichts sagt oder ihnen vorlügt, warum die Eltern sich trennen. Kinder brauchen eine Perspektive, müssen ernst genommen werden, ihre Wünsche und Vorstellungen müssen gehört werden. Es geht um dauerhafte und verlässliche Bezugssysteme.

derStandard.at: Wie bewerten Sie die Sechs-Monats-Frist, die im aktuellen Gesetzesentwurf vorgesehen ist?

Pinterits: Mit der kann ich ganz gut leben – nur muss man etwas mit den Eltern tun in dieser Phase. Meiner Meinung nach ist das Gericht nicht der richtige Ort, um Streitigkeiten zu schlichten und gute Lösungen zu finden. Richterinnen und Richter sollen richten.

Wir haben im Moment Gutachten von unterschiedlichster Qualität. Das ist ein Problem. Teilweise fehlen fachliche Standards, oder es wird nicht das Gesamtsystem begutachtet, sondern nur ein Teil. Diese Gutachten bieten derzeit die Entscheidungsgrundlage vor Gericht. Eigentlich entscheiden im Moment nicht die Gerichte, sondern die Gutachter. Darüber bin ich sehr unglücklich.

derStandard.at: Wie sollte das Besuchsrecht Ihrer Meinung nach organisiert sein, um für die Kinder möglichst viele Vorteile zu bringen?

Pinterits: Das hängt vom Alter der Kinder ab. Die Lösungen müssen individuell sein. Es kommt darauf an, wie weit die Eltern auseinander leben und wie ihre Beziehung ist. Grundsätzlich kann man sagen: Je besser die Beziehung der Eltern ist, desto einfacher ist es für das Kind.

derStandard.at: Wo sehen im Bereich der Gerichte Verbesserungsbedarf?

Pinterits: Ich wage zu bezweifeln, dass das Gericht der richtige Ort ist, um mit Eltern zu arbeiten, die verfeindet sind, die nicht mehr miteinander sprechen, wo eine hohe Eskalationsstufe erreicht ist. Darum braucht es die dem Gericht vorgelagerte Stelle, wo Eltern hingehen können und sich Unterstützung holen. Wenn Eltern Vereinbarungen treffen, müssen sie sich daran halten, damit die Kinder sich daran orientieren können.

Außerdem muss das Image der Pflegschaftsrichterinnen und -richter dringend verbessert werden. Es muss sichergestellt sein, dass Menschen in den Beruf gehen, die gut ausgebildet sind und das gerne machen. Denn es ist ein wahnsinnig belastender und schwieriger Job, und derzeit ist er nicht sehr angesehen. Dabei sollten Pflegschaftsrichter eigentlich nur die Besten werden. Denn sie entscheiden über die Zukunft von Menschen. (Lisa Mayr, derStandard.at, 10.10.2012)