"Es ist Krieg." Es klingt martialisch, wenn Peter Hoffmann von der Arbeiterkammer Wien über den Arbeitsmarkt redet. Zu seinem Befund kommt er nach unzähligen Mobbingberatungen, der Grund: "Wie viele abnormale Situationen erleben wir täglich?" Abnormale Situationen sind für den Psychologen die Zustände in vielen Firmen. Die Anforderungen an Arbeitnehmer steigen, Stress und Druck nehmen immer mehr zu, kritisierte er bei einer Tagung der Arbeiterkammer, die unter dem Motto "Arbeit - Psyche - Stigma" in Wien stattfand. Das Resultat der steigenden Belastung: Psychische Erkrankungen nehmen zu.
Unternehmen attestiert er nicht generell Untätigkeit in puncto Arbeitnehmerschutz, dennoch ortet er eine Schieflage: "In den letzten Jahren haben wir immer nur auf den Körper geschaut", sagt Hoffmann, "und gelernt, mit körperlichen Krankheiten umzugehen". Was tabu ist, ist die Psyche. Die sei aber ein Arbeitsmittel, "genauso wie der Körper". Auch Triebwerke werden gewartet, deshalb halten sie viele Jahre, meint Hoffmann. Im Gegensatz zur Psyche, auf die nicht geschaut werde.
Wartung nur für Hardware
"Wie oft ist der Kopierer defekt?" fragt Hoffmann: "Es ist dauernd ein Techniker da, der die Geräte wieder in Ordnung bringt." Und: "Ich möchte, dass die Psyche genauso als Arbeitsmittel betrachtet wird wie ein Kopierer." Bei Problemen engagieren Unternehmen eher externe Leute, die Mitarbeiter wieder "herrichten", so Hoffmann, anstatt die Ursache zu bekämpfen, nämlich die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Was können Arbeitgeber für ihre Mitarbeiter machen? Hoffmann denkt dabei nicht an Gratis-Besuche von Psychologen oder regelmäßige Supervisionsangebote, sondern an Punkte wie Unternehmenskultur, ausreichende Personal- und Zeitressourcen, Entfaltungsmöglichkeiten für Mitarbeiter etc. Also Dinge, die das Arbeitsklima ausmachen. Untermauert werden seine Forderungen durch eine kürzlich publizierte Studie, wonach psychische Erkrankungen auf dem Vormarsch sind.
43 Prozent fühlen sich ausgebrannt
Rund ein Viertel der Dienstnehmer bewertete bei einer Umfrage von "fit2work" ihren Arbeitsplatz in Bezug auf den Leistungsdruck als ziemlich oder sogar sehr schlecht. Jeder Fünfte klagt über das Problem der ständigen Erreichbarkeit, 43 Prozent fühlen sich nach der Arbeit "leer oder ausgebrannt". Während die Zahl der Arbeitsunfälle in Österreich zurückgeht, haben sich die Krankenstandstage infolge von psychischen Erkrankungen seit dem Jahr 1995 verdoppelt. Schon jeder 16. Krankenstandstag war im Jahr 2009 auf eine psychische Erkrankung zurückzuführen, die Tendenz ist steigend. Die Dauer der Arbeitsunfähigkeit ist bei psychischen Erkrankungen deutlich länger als bei körperlichen Leiden.
Laut einer Berechnung des Wirtschaftsforschungsinstitutes (WIFO) verursachen die Krankenstandstage, die direkt auf Belastungen im Job zurückgehen, einen gesamtwirtschaftlichen Schaden von 3,3 Milliarden Euro pro Jahr. 32 Prozent aller Neuzugänge in die Berufsunfähigkeits- und Invaliditätspension erfolgen bereits aus psychischen Gründen.
Arbeit über alles
Ursachen für den zunehmenden Druck im Erwerbsleben identifiziert Asmus Finzen viele. Finzen ist Professor für Sozialpsychiatrie in Deutschland und der Schweiz. "Eine Fetischisierung der Leistung und eine soziale Kälte" habe in Betrieben Einzug gehalten, meinte er bei seinem Vortrag im Rahmen der AK-Tagung zu Arbeit und Psyche. "Berufliche Laufbahnen" würden verschwinden. 30 Jahre Arbeiten im gleichen Betrieb wird nicht mehr als Leistung gesehen, sondern als mangelnde Flexibilität. "Heute haben wir die ständige Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes", sagt Finzen, das reiche weit bis in die Mittelschicht und mache auch vor dem Management nicht halt.
Er regt an, den Wert von Arbeit neu zu definieren. In Deutschland gehe nur eine Minderheit, nämlich 29 von 82 Millionen Bürgern, einer Erwerbsarbeit nach. Der Job sei viel zu dominant, er bestimmt Einkommen, die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und prägt das Selbstbewusstsein: "Wer nicht arbeitet, hat nichts zu lachen." Arbeitslose werden stigmatisiert genauso wie Leute, die mit psychischen Erkrankungen kämpfen, aber: "Der Kranke ist nicht schuld an seiner Krankheit", mahnt Finzen, der in Deutschland und in der Schweiz als Psychiater tätig war. "Krankheiten können kommen und gehen."
Österreich Schlusslicht bei beruflicher Integration
Für Unternehmen bedeutet das Geduld und Sensibilität. Zwei Faktoren, die in Österreich noch ausbaufähig sind. Das beweist eine OECD-Studie aus dem Jahr 2011, wonach Österreichs Unternehmen bei der Beschäftigung von psychisch Kranken das Schlusslicht bilden. Die Quote liegt bei unter 60 Prozent. Zum Vergleich: Spitzenreiter Schweiz kommt auf über 70 Prozent. Untersucht wurden zehn Staaten. Generell liegt die Arbeitsquote von psychisch Kranken etwa zehn bis 15 Prozentpunkte unter jener von Menschen ohne Erkrankung. (om, derStandard.at, 15.10.2012)