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"Ein Ansturm auf die Banken wird rasch ein gesamteuropäisches Problem."

Foto: Reuters/Issei Kato

Europa wird die massive Kapitalflucht aus Italien und Spanien nur mit einer gemeinsamen Einlagensicherung stoppen können, sagt die Nummer zwei des IWF, David Lipton. Warum er die Ängste in Wien und Berlin für übertrieben hält, erzählte er András Szigetvari in Tokio.

Standard: Die Vorhersagen für Griechenland werden immer düsterer, 2012 soll die Wirtschaft um sechs Prozent schrumpfen, 2013 um vier Prozent. Wann erkennt der IWF, dass seine Sparstrategie falsch ist?

Lipton: Griechenland litt dieses Jahr unter mehreren Problemen: Der Wirtschaftseinbruch war stärker als erwartet, und im Vorfeld der Parlamentswahlen wurden mehr politische Debatten geführt als vereinbarte Reformen umgesetzt. Das soll nicht heißen, Griechenland hätte nichts getan, sie haben viel umgesetzt. Aber angesichts der problematischen Umstände nicht genug. Wir wissen, die Situation ist schwieriger als vor einem Jahr. Die große Frage ist nun, wie man dieser Tatsache Rechnung tragen kann. Das wird in den Verhandlungen mit der Regierung gerade diskutiert.

Standard: Eine Forderung des IWF ist es, den Teufelskreis zwischen den Problemen im Bankensektor und den Staatsschulden in Europa zu durchbrechen. Ist das gelungen?

Lipton: Es gab bedeutende Fortschritte. Nach Angaben der europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA haben die europäischen Kreditinstitute im vergangenen Jahr ihre Kapitalpolster massiv gestärkt. Allerdings ist der Prozess keinesfalls abgeschlossen. Wir schlagen seit geraumer Zeit vor, dass die Eurozone eine vollständige Bankenunion schafft, die neben einer zentralen Aufsichtsbehörde auch ein gemeinsames Instrument zur Abwicklung und Rekapitalisierung angeschlagener Institute sowie eine gemeinsame Einlagensicherung beinhalten muss.

Standard: Eine gemeinsame Einlagensicherung wird in Deutschland und Österreich kritisch gesehen, weil das hieße, dass deutsche und österreichische Banken für spanische Institute mithaften müssten.

Lipton: Die Ängste sind stark übertrieben. Eine Einlagensicherung ist eine Versicherung, die Probleme vermeiden soll, bevor sie entstehen. Wenn Menschen in einem Land mit nationalen Systemen Zweifel bekommen, ob der hin- ter den Banken stehende Staat schwächelnde Institute auffangen kann, beginnt ein Ansturm auf die Banken, der rasch zu einem gesamteuropäischen Problem wird. Deutschland würde wie andere Länder darunter leiden. Wenn aber die Einlagensicherung von ganz Europa mitgetragen wird, entstehen die Zweifel erst gar nicht, und es gibt keinen Bankensturm.

Standard: Ist der Vorschlag politisch umsetzbar?

Lipton: Deutschland und Österreich würden nicht notgedrungen eine untragbare Last aufgebürdet bekommen. In den meisten Ländern zahlen Banken in die Einlagensicherungssysteme ein, und ihre Beiträge bemessen sich nach angehäuften Risiken. Was die Menschen verstehen müssen, ist, dass wir auch nicht die Kosten ignorieren können, die entstehen, wenn Kapital aus den Europeripherieländern weiter abfließt und Banken gestürmt werden. Zudem muss in einem ersten Schritt die Aufsicht vereinheitlicht werden, was bereits beschlossen wurde. Eine europaweite Finanzaufsicht hat zwei Vorteile: Nationale Aufseher kümmern sich weniger um grenzüberschreitende Probleme. Zudem wird die zentrale Aufsicht Ländern einen gegenseitig stärkeren Einblick geben.

Standard: Gibt es einen Beleg, dass überregionale Aufseher effektiver sind? Die EZB hat die Krise 2008 nicht kommen gesehen?

Lipton: Das ist ein anderes Problem. Aber ein Beispiel: In Zypern gibt es drei Großbanken. Sie haben Kredite an den griechischen Privatsektor im Wert von 90 Prozent der zypriotischen Wirtschaftsleistung vergeben und halten griechische Staatsanleihen im Wert von über 100 Prozent des BIPs. Das haben die zypriotischen Aufseher zugelassen. Ich denke, eine europäische Aufsicht hätte das nicht erlaubt.

Standard: Es gibt in Europa 6000 Banken. Viele fürchten, die EZB werde überfordert.

Lipton: Die Antwort darauf ist zum Teil schon gefunden: EZB und nationale Aufseher werden zusammenarbeiten. Die nationalen Aufseher werden nicht verschwinden, aber sie werden unter der Autorität der EZB arbeiten, sodass die Zentralbank stets ein genaues Auge auf die systemrelevanten Banken und bei Bedarf auch auf die kleinen Institute werfen kann. (András Szigetvari, DER STANDARD, 11.10.2012)