Ekelerregende "Parasiten" sind zurück im öffentlichen Diskurs. Vorerst noch eher verschämt, indirekt, doch allüberall kriechen sie Milben gleich aus ihren Larven und verkoteten Hohlräumen unter unserer Hornhaut. Selbst harmlose Mitesser werden ausgedrückt.

Bei einem kürzlichen Interview im originellen und progressiven dada-dada.tv der Alexandra Süss und ecker & partner war der erste Reflex jemandes, der von politischer Korrektheit wenig hält, politisch überkorrekt: zu Nazi-Begriffen wie "Parasit", "Schmarotzer", "Volksschädling", die unvermeidlich mit dem Ruf nach "Vertilgen" und "Ausmerzen" des "Ungeziefers" enden, mochte man Abscheu bekunden, inhaltlich nichts sagen.

Es gibt eine Sprache aus dem Wörterbuch des Unmenschen, die Grauen und Ekel hervorruft, Vernichtung verlangt - und das gute Gewissen zur Tötung als hygienischer Operation der Selbsthilfe gleich mitliefert. Immer ging in der Geschichte von Völker-, Rassen-, Klassen- und Massenmorden die Vertierung der als "Schädlinge" perhorreszierten Opfer voraus. Schädlingsbekämpfung erlaubt Hochgiftiges, um parasitäre Erkrankung zu bezwingen, "Entwesung" durch Blausäure und Zyklon B als "Durchgasungstechnik". Die Nazis haben "lebensunwertes Leben" durch Parasitismus definiert und dann systematisch vernichtet.

Parasiten, das sind abstoßende Mitesser in Staub, Schmutz und Gedärm, Bakterien, Mikroben, Maden, Blutegel, Zecken, Flöhe, Läuse, Bettwanzen, Insekten, Milben, Krätze, Flechten, Pilze, Viren, Ausschläge, Misteln, Trichinen, lebendes Eingeweidgewürm im lebenden Menschen. Wie Küchenschaben leben sie "auf Kosten Anderer" und sind für deren Überleben zu beseitigen. Das hat uralte, menschenfeindliche und mörderische Tradition, vom Kampf gegen vagabundierende Bettelei als öffentliches Ärgernis vom Mittelalter bis heute, gegen "arbeitsscheues Gesindel" und "jüdische Parasiten" der Nazi, bis zur sowjetischen Feindbildpflege von Lenin bis nach Stalin: noch 1964 wurde der spätere Literaturnobelpreisträger Jossif Brodsky als "Parasit" für nutzloses "Verslein schreiben" zu fünf Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Mit Münteferings "Heuschrecken" und dem "Kampf gegen Spekulantentum" hat der Sowjetdiskurs längst Sozialdemokratie und Volksparteien erreicht.

Lenin sah "Beamtentum und stehendes Heer...als Schmarotzer am Leib der bürgerlichen Gesellschaft...Parasiten, die die Lebensporen verstopfen." Im Kapitel über "Parasitismus und Fäulnis im Kapitalismus" seines gemeinverständlichen Abriß über Imperialismus geißelt er das "außergewöhnlich Anwachsen...der Schicht der Rentner, d.h. Personen, die vom Kouponschneiden leben...deren Beruf der Müßiggang ist....Der Rentnerstaat ist der Staat des parasitären, verfaulenden Kapitalismus."

2012 sind wir also zurück 1917, 1933 bis 1945, vor 1989. Nichts eignet sich besser für Feindbilder als "unsichtbare Feinde", wo auf jeden wirklichen Schmarotzer unzählige eingebildete Parasiten lauern. Der Sozialdiskurs ist inzwischen durch Parasitenpauschalverdacht schwer vergiftet. Wir müssen ihn, Schritt für Schritt, wieder heilen. Indem wir das verdrängte Thema offensiv konfrontieren und nicht länger tabuisieren.

Was erklärt aber die Wiederkehr der "Parasiten" des 19. im 21. Jahrhundert? Über die Verursachungskräfte und die Renaissance der Schmarotzer-Diskurse seit ungefähr 1980 demnächst. (Bernd Marin, DER STANDARD, 13.9.2012)