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Neun Stunden auf dem Rollfeld: 300 Kilo verdächtige Fracht für das syrische Verteidigungsministerium waren angeblich an Bord der Airbus-Maschine aus Moskau.

Foto: EPA/CEM OKSUZ/ANADOLU AGENCY

Sie sind sich der Sache völlig sicher. "Die Türkei scheut sich nicht, ihre internationalen und nationalen Rechte zu nutzen. Wir haben sie heute genutzt, und wir werden sie - wenn nötig - wieder nutzen", sagte trotzig Binali Yildirim, der türkische Verkehrsminister und ein politisches Schwergewicht der Regierung. Da war die Wut im Kreml über den Zwischenfall mit der Maschine der Syrian Airlines erst richtig am Kochen.

Türkische Kampfjets hatten sie am Mittwochabend auf dem Weg von Moskau nach Damaskus abgefangen und zur Landung in Ankara gezwungen. Ein Dutzend Frachtstücke, die als diplomatisches Gepäck markiert waren, sollen Sicherheitsbeamte um Mitternacht aus der Passagiermaschine gezogen und dann geöffnet haben. Was darin war, wollte die Regierung am Donnerstag immer noch nicht sagen. Außenminister Ahmet Davutoglu sprach von "illegalem Material" und "einigen Beweisen". Türkische Medien waren konkreter: 300 Kilo Fracht für das syrische Verteidigungsministerium, darunter Raketenteile und elektronisches Kommunikationsgerät.

Neun Stunden blieb das Flugzeug auf dem Rollfeld. Die nur 30 Passagiere der A 320, darunter 17 Russen, berichteten später, sie seien schlecht behandelt worden. In den Flughafenterminal habe man sie nicht gelassen, nur zeitweise konnten sie sich die Füße auf dem Rollfeld vertreten. Der Kapitän sei von den türkischen Behörden gezwungen worden, eine Erklärung zu unterschreiben, die besagt, er habe eine "Notlandung" auf dem Esenboga-Flughafen von Ankara machen müssen. Das Außenministerium wies diese Berichte zurück.

Seit Tagen schraubt die Türkei die Spannungen mit Syrien hoch. Das türkische Parlament hat der Armee vergangene Woche die Vollmacht zu grenzüberschreitenden Operationen erteilt. Armeechef Necdet Özel inspizierte zu Wochenbeginn die Truppen an der Grenze und kündigte " härtere Reaktionen" an, sollten weiter Artilleriegeschosse der syrischen Armee auf türkischem Gebiet landen - was auch geschieht. Russland ist zusammen mit dem Iran und China der letzte Verbündete des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad.

Putin sagt ab, dann wieder zu

Die türkische Regierung gibt an, sie habe Informationen über eine Waffenlieferung an Bord des Airbus erhalten. Bemerkenswerterweise ließ der russische Präsident Wladimir Putin nur Stunden vor dem Zwischenfall einen für nächste Woche geplanten Besuch in Ankara absagen. Gründe dafür hatte sein Sprecher nicht genannt. Ungeachtet der nun entstandenen Spannungen gab der Kreml am Donnerstag aber einen neuen Termin bekannt: Putin wird am 3. Dezember in die Türkei reisen.

Der russische Botschafter kam am Nachmittag ins Außenministerium in Ankara. Dort wurde er laut türkischen Sendern über die Herkunft der angeblichen "russischen Waffenlieferung" an das syrische Regime befragt. Der türkische Botschafter in Moskau wurde wiederum ins russische Außenministerium einbestellt.

Ankara beruft sich auf Embargorecht

Für die türkische Seite ist die völkerrechtliche Lage klar. Ankara hatte sich im vergangenen Jahr dem Waffenembargo der EU und der USA gegen Syrien angeschlossen. Mehrfach stoppten die Behörden bereits Lastwagen und Schiffe, auf denen sie Waffen vermuteten, die in das Bürgerkriegsland gehen sollten. Im Fall der Maschine aus Moskau beruft sich die Türkei auch auf das Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt von 1944. Artikel 35 des Abkommens verbietet den Transport von Waffen und Munition durch den Luftraum eines Unterzeichnerstaates ohne dessen Genehmigung. (Markus Bernath, DER STANDARD, 12.10.2012)