"Es wird sicher Menschen geben, die sich von gerichtlichen Urteilen beeindrucken lassen. Aber ich glaube, dass sich die RichterInnen und Ministerinnen hier überschätzen", sagt Daniela Musiol, Familiensprecherin der Grünen.

Foto: Regine Hendrich

ÖVP und SPÖ haben sich nach langem Tauziehen auf ein Familienrechtspaket geeinigt. Es sieht unter anderem vor, dass Gerichte ab 2013 die Möglichkeit haben, bei strittigen Trennungen eine gemeinsame Obsorge zu verfügen - auch gegen den Willen eines oder beider Elternteile. Ledige Väter bekommen zudem ein Antragsrecht auf Obsorge, die Begleitmaßnahmen für streitende Eltern sollen ausgebaut werden.

Für die grüne Familiensprecherin Daniela Musiol ist der Entwurf der beiden Ministerinnen realitätsfern. Als Sozialarbeiterin, Mediatorin und Juristin ist sie sich sicher, dass Verordnungen soziale Realitäten nicht verändern können. Auch die soziale Ausgewogenheit solle nicht unhinterfragt bleiben, sagt sie im Gespräch mit dieStandard.at.

dieStandard.at: Justizministerin Beatrix Karl meint, dass durch das neue Familienrecht die gemeinsame Obsorge zum "Regelfall" werde. Teilen Sie diese Einschätzung aus ihrer praktischen Erfahrung in Obsorge-Streitigkeiten?

Musiol: Nachdem RichterInnen nun über eine gemeinsame Obsorge verfügen können, wird es bestimmt auch RichterInnen geben, die eine gemeinsame Obsorge aussprechen, auch wenn das nicht im Sinne der Familie oder des Kindeswohls ist. Insofern kann man davon ausgehen, dass es künftig zu mehr Fällen gemeinsamer Obsorge kommt. Die Frage jedoch ist, ob das für die Kinder zuträglich ist. Prinzipiell zweifle ich das an, wenn Eltern eine Gemeinsamkeit verordnet bekommen.

dieStandard.at: Vor Gericht landen jene, die sich nicht einigen können. Es gibt aber viele, die sich außergerichtlich einigen. Der Entwurf sieht einen Ausbau an Begleitmaßnahmen vor. Schätzen Sie das nicht als Verbesserung ein?

Musiol: Die Begleitmaßnahmen gefallen mir und wurden auch von uns gefordert. Wir haben es Schlichtungsstelle genannt, im Entwurf heißt es Familiengerichtshilfe. Auch die BesuchsbegleiterInnen gefallen mir. Dazu muss man aber sagen, dass es jetzt schon Besuchscafes und Besuchsbeistand gibt. Das Problem bei diesen Einrichtungen ist, dass Ressourcen fehlen um wirklich flächendeckend Unterstützung anbieten zu können. Das müssen die GesetzgeberInnen schon gewährleisten. Es reicht nicht, das nur in das Konzept zu schreiben - hier müssen entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt werden, ansonsten provoziert man nur weitere Probleme.

Vor allem aber müssen die Begleitmaßnahmen sozial verträglich sein. Wir haben jetzt schon viele Familien, die sich Begleitmaßnahmen nicht leisten können oder aufgrund von Ressourcenmangel zu lange warten müssen. Es gilt jetzt abzuwarten, ob es wirklich gelingt hier ein Netzwerk aufzubauen, das schnell, unbürokratisch und niederschwellige Hilfe und Unterstützung für alle Familien geboten wird.

dieStandard.at: Wie unterscheidet sich Ihr Vorschlag der Schlichtungsstelle vom jetzigen Entwurf?

Musiol: Die Idee der Schlichtungsstelle wäre dem Gericht vorgelagert. Das heißt, bevor sich die Leute schriftlich bekriegen und vor Gericht gehen, sollten sie in die Schlichtungsstelle, weil dort auch eine andere Haltung herrscht. Hier geht es um Ausgleich, um Verhandeln oder den Versuch, auf eine Ebene zu kommen - weg von der Paarebene hin zur Elternebene. Im jetzigen Entwurf fehlt das und das ist ein schwerwiegender Fehler.

dieStandard.at: Sie haben bereits die soziale Verträglichkeit der Begleitmaßnahmen angesprochen. Die Besuchsbegleitung wird laut dem Entwurf über das Gerichtsgebührengesetz geregelt und sieht vor, dass nun beide Elternteile zahlen müssen. Für Frauen kann das zu einer enormen finanziellen Belastung werden.

Musiol: Das sehe ich auch so. Frauen, die möglicherweise gerade auf Unterhaltszahlungen warten, können sich das bestimmt nicht leisten. Ich kenne das auch aus der Mediation. Es ist nicht selten so, dass am Anfang einer Mediation die Diskussion darüber stattfindet, wer diese nun bezahlt. Wenn jetzt also beide zahlen müssen, ist das insofern ein Problem, weil Männer in der Regel um einiges mehr verdienen als Frauen. In einer strittigen Situation noch einen gerechten Weg über die Bezahlung zu finden ist sehr schwierig für die Beteiligten.

dieStandard.at: Nehmen wir an, eine Frau ist nach einem One-Night-Stand schwanger, der Vater ist bekannt und wird auch angegeben. Wie verhält es sich in diesem Fall mit der Obsorge?

Musiol: Es spricht sicher nichts dagegen, wenn beide Elternteile sagen, ja wir hatten zwar einen One-Night-Stand, aber wir wollen beide die elterliche Pflicht übernehmen.

dieStandard.at: Wenn sie diesen Konsens aber nicht haben?

Musiol: Da ist es dann absurd, weil das Gericht die gemeinsame Obsorge verordnen kann, auch wenn sie nicht einen Funken einer Beziehung hatten, außer eben diese eine Nacht miteinander verbracht zu haben. Die Gerichte können laut dem Entwurf eben gegen den Willen beider Elternteile die gemeinsame Obsorge verordnen.

dieStandard.at: Wie sehen da künftig die Unterhaltszahlungen aus?

Musiol: Zahlen muss er auf jeden Fall, wenn die Vaterschaft anerkannt ist. Er hätte ja auch beim One-Night-Stand die Verpflichtung gehabt, sich um die Verhütung zu kümmern, wenn er das vermeiden will, genauso wie die Frau hier eine Verpflichtung hat.

dieStandard.at: Wir wissen, dass die alltägliche Betreuung von Kindern nach wie vor in den Händen der Frauen liegt. Müssten die GesetzgeberInnen im Zuge dieses Entwurfs nicht eigentlich auch eine verpflichtende gemeinsame Karenz verordnen, um eine Realität zu schaffen, die dann auch dem restlichen Gesetz entspricht?

Musiol: Das wäre eine spannende Geschichte. Die Beteiligung der Väter bedarf tatsächlich einer Veränderung. Die Verordnung einer gemeinsamen Obsorge unterstellt ja, man könne Gemeinsamkeit verordnen. Das wird aber nicht funktionieren.

dieStandard.at: Die Familiengerichte sehen in naher Zukunft einiges an Arbeit auf sich zukommen. Die Vorsitzende der FamilienrichterInnen, Doris Täubel-Weinreich, meinte Mittwochabend im ZiB2-Interview, dass mit dem Gesetz die Hoffnung bestehe, mit dem "Fingerzeig zu vermitteln, dass beide für das Kind verantwortlich sind". Das klingt nicht gerade nach Deeskalation.

Musiol: Es wird sicher Menschen geben, die sich von gerichtlichen Urteilen beeindrucken lassen. Aber ich glaube, dass sich die RichterInnen und Ministerinnen hier überschätzen. Wenn es emotionale Verletzungen gibt, dann funktioniert das nicht.

Man muss hier auf Unterstützung setzen, damit die Leute in irgendeiner Form wieder eine Basis finden. Es wird immer Fälle geben, wo es nicht funktioniert - die habe ich in meinen verschiedenen Tätigkeiten immer wieder erlebt. Ich kenne die verschiedensten Perspektiven und ich bin überzeugt davon, dass es unterstützende Maßnahmen braucht. Darauf zu hoffen, dass sich durch eine Verordnung die Probleme lösen ist wirklich realitätsfern. (Sandra Ernst Kaiser, dieStandard.at, 11.10.2012)