Wien - Am Ende seines Lebens hatte Dan Flavin, bereits schwer krank, vom Bett aus eine Kirche ausgestattet, wenngleich er sich zeitlebens gegen einen metaphysischen oder gar religiösen Kontext gewehrt hatte: "Meine fluoriszierenden Röhren werden niemals verbrennen wie die Sehnsucht nach einem Gott." Flavin wollte maximale Wirkung mit minimalen Eingriffen, schnelle Wahrnehmung, nicht andachtsvolle Kontemplation: "What you see is what you get." Man könnte auch sagen: Alles ist, wie es scheint.
Das Mumok jedenfalls ist derzeit eine kühle Kathedrale des schönen Scheins: Über vier Ebenen und mit 30 zu Themenblöcken geordneten Installationen und Wandobjekten aus Leuchtstoffröhren zelebriert das Museum die Verehrung Dan Flavins, der eigentlich nach dem Willen seiner Eltern Priester hätte werden sollen. Einige Jahre besuchte er sogar das Priesterseminar, ehe der Zwillingssohn irischer Einwanderer als Hilfsarbeiter jobbte, zunächst im Guggenheim Museum, später im Museum of Modern Art, wo er erste Künstlerfreundschaften schloss. Damals fertigte er auch Collagen aus Fundstücken, später sollte er diese Zeit als "Romanze mit der Kunst als tragischer Praxis" bezeichnen.
1961 verwendete er erstmals eine Glühbirne für seine Arbeiten, experimentierte mit künstlichem Licht, montierte Birnen oder Leuchtstoffröhren auf monochrom bemalte quadratische Flächen. Inspiriert hatte ihn zu diesen Icons, die auch im Mumok ausgestellt sind, die russische Ikonenmalerei. Aber "meine Ikonen ehren nicht den Erlöser in prunkvollen Kathedralen. Sie sind verdichtete Konstrukte ... stumm, anonym und ruhmlos."
Seine künstlerische Erleuchtung erlebte der Magier des Lichts am 25. Mai 1963, wenige Tage nach seinem 30. Geburtstag. Damals schraubte er eine exakt 244 Zentimeter lange Leuchtstoffröhre diagonal an seine Atelierwand und widmete diese "Diagonale der persönlichen Ekstase" dem fünf Jahre zuvor verstorbenen französisch-rumänischen Bildhauer Constantin Brancusi.
Das reduzierte Formenrepertoire - billige, industriell gefertigte Leuchtstoffröhren in Standardgrößen und neun handelsüblichen Farben (Blau, Grün, Gelb, Punk, Rot sowie vier Weiß-Schattierungen) wurden Flavins idealer und alleiniger Kunstwerkstoff, oder wie er selber es bezeichnete, sein "technologischer Fetisch". Keine künstlerische Handschrift sollte ersichtlich, Farbe nicht aufgetragen, sondern selbst Material sein.
Röhren, fahl oder leuchtend, aneinandergefügt, übereinandertürmt, ineinandergesteckt, raumteilend, eckenfüllend, zur Wand gedreht, dem Betrachter zugewendet, der selbst Teil der Kunst wird, weil das Licht die Farbe seiner Haare, und Kleidung verändert, Räume, die sich in Licht auflösen: Mumok-Chefin Carola Kraus hat die Ausstellung gemeinsam mit Rainer Fuchs kuratiert. Betörend schön übrigens die in einem Nebenraum gezeigten Zeichnungen und Skizzen etwa die Diagonale vom 25. Mai 1963 - weiße Linie auf schwarzem Papier.
Oft widmete Flavin, der 1996 starb, seine Kunstwerke Kollegen, Donald Judd etwa oder Ad Reinhardt. Dem russischen Künstler-Ingenieur Tatlin widmete sogar eine 24-teilige Monuments-Serie. Acht dieser fragilen Denkmäler aus Licht sind in Wien zu sehen.
Auch wenn sein Werkstoff, EU-bedingt, ein Ablaufdatum hat: Dan Flavin hat der Leuchtstoffröhre einen Platz in der Kunstgeschichte gesichert. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 12.10.2012)