Parteitage müssen in regelmäßigen Abständen halt auch sein. Der, zu dem die SPÖ für den Samstag nach St. Pölten ruft, wird in der nächsten Parteigeschichte keinen eigenen Absatz beanspruchen. Er dürfte nicht einmal den Minimalzweck erfüllen, die Funktionäre mit der Begeisterung auszustatten, die im anlaufenden Wahlkampf nötig wäre, um der Partei am Wahltag jene Stärke zu sichern, die eine Durchsetzung der Parteitagsbeschlüsse gegen einen konservativen Koalitionspartner halbwegs wahrscheinlich macht. Das nostalgische Allerweltsmotto "Mehr Gerechtigkeit" erinnert eher an das, wofür Sozialdemokraten vor mehr hundert Jahren angetreten sind, als daran, was sie in den letzten Jahrzehnten unter diesem Panier bewirkt haben. Unter allen von Sozialdemokraten geführten Regierungen sind die Unterschiede zwischen Arm und Reich größer geworden, hat sich die soziale Schere geöffnet.
Zu lange tritt die Partei - ohne erkennbaren Eindruck auf das Publikum - mit den Forderungen nach Vermögens- und Erbschaftssteuern auf, als dass die nunmehrige Aktualisierung belebende Hoffnung auslösen sollte. Das umso weniger, als beide Steuern unter sozialdemokratischer Ägide 1994 und 2008 auch schon einmal abgeschafft wurden, was sozialdemokratische Konsequenz im Kampf um mehr Gerechtigkeit in jenes Licht rückt, das Wahlergebnisse von unter dreißig Prozent reflektieren. Vielleicht würde es helfen, wenn man den entsprechenden Leitanträgen den Satz hinzufügt: Diesmal meinen wir es aber wirklich ernst! Was freilich die Frage provozieren müsste, ob eine SPÖ mit den Schmutzfingern des Boulevards im Auge eine solche Entschlossenheit auch umsetzen könnte.
Eine fatale Regie hat dazu geführt, dass die SPÖ derzeit mehr mit sich selbst beschäftigt erscheint als damit, auf die Wählerinnen und Wähler überzeugend zu wirken. Unzufriedenheit unter Jungen und Linken gehört zur Parteitradition, das wäre noch nichts besonderes. Jetzt hat sie breite Kreise der Mitglieder und Funktionäre erreicht. Wenn Oberösterreichs Parteichef Josef Ackerl der Spitze in Wien ein "Handbuch sozialdemokratischer Werte in Österreich" unter die Nase reibt und statt eines "Hochamtes" Diskussion einfordert, drückt er generelles Unbehagen damit aus, wie ein dem Boulevard verpflichteter Opportunismus aus historischer Erfahrung gehaltene Positionen und Verhaltensweisen diskussionslos über Bord wirft.
Sozialdemokratische Werte dürften auch an der Parteispitze so weit bekannt sein, dass sie zum Nachlesen keines Handbuches bedarf. Nur sind bei vielen die Zweifel groß, ob Kronen Zeitung und Österreich die geeigneten Vehikel zu ihrer Durchsetzung sind. Die "moralischen Prämissen" sind als Wortspenden nicht verloren gegangen, sie wurden in den letzten Jahren nur zu offensichtlich ausgelagert.
Ob sie sich in St. Pölten zur Zufriedenheit der Kritiker wieder einfangen lassen, erscheint eher zweifelhaft, zu eng sind politisches und Inseratengeschäft inzwischen verquickt, als dass sich das schmerzlos auflösen ließe. Vielleicht weist das neue Parteiprogramm den Weg in eine bessere Zukunft. Aber sicher nicht vor 2014. (Günter Traxler, DER STANDARD, 12.10.2012)