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"Was man von Barack Obama mitnehmen kann, ist, dass er in seinem ersten Wahlkampf ganz klar über Werte gesprochen hat und diese Werte mit Positionen in Verbindung gebracht hat".

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"Die Begriffe Steuerflucht, Steuerparadies und Steueroase sind Konzepte, die einem Steuern als Bedrohung begreifbar machen", sagt Neurolinguistin Elisabeth Wehling.

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Politiker denken zu wenig über ihre Sprache und geläufige Begriffe wie Steuererleichterung nach, meint die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling. Warum Konservative mit ihrer Sprache mehr Erfolg haben und Parteien für den Wahlkampf keine Werbeagenturen beauftragen sollten, sagt Wehling im Gespräch mit derStandard.at.

derStandard.at: Kommunizieren konservative Parteien besser als Sozialdemokraten?

Wehling: Die Konservativen waren vor 30 Jahren in den USA eine gedankliche Minderheit und wollten konservative Werte in das Bewusstsein der Amerikaner zurückbringen. Das war damals ein richtiger Push hin zu einem konservativen und neoliberalen Gedankengut in den Köpfen der Amerikaner. Das hat bis heute Auswirkungen, und die von Ultrakonservativen in den USA geschaffene Sprache schafft es nicht selten auch nach Europa.

derStandard.at: Dominieren konservative Themen die gesellschaftlichen und politischen Debatten?

Wehling: Ich habe mich in der letzten Zeit intensiv mit der Steuerdebatte auseinandergesetzt. Wenn man sich ansieht, welche Begriffe hier genutzt werden, trifft man auf Wörter wie Steuerflucht, Steuerparadies und Steueroase. Das sind Konzepte, die einem Steuern als Bedrohung begreifbar machen. Ebenso der Begriff Steuerbefreiung: Wenn Sie keine Steuern zahlen, sind Sie frei. Das heißt aber auch im Umkehrschluss, dass man als Steuerzahler unfrei ist.

Natürlich müssen Steuern vom Einzelnen erbracht werden, und das verlangt auch ein hohes Maß an Eigenverantwortung. Auf der anderen Seite aber sind Steuern die Grundlage individueller Freiheit. Dieser Punkt wird oft ausgeblendet. Freiheit baut auf den Steuern auf, die wir gemeinsam erbringen und über die wir Schutz und Ermächtigung organisieren. Die Idee, dass Steuern die Einschränkung der Freiheit sind, bedingt sich aus einer ganz bestimmten Perspektive, ist aber nicht die Wahrheit. Da kann man umdenken.

derStandard.at: Die SPÖ verwendet im Zusammenhang mit Vermögenssteuern auch den Begriff Steuergerechtigkeit. Ist das eine falsche Verwendung?

Wehling: Das Wort Steuergerechtigkeit verdeutlicht nicht genug, worum es geht. Gerechtigkeit als Wort alleine bedeutet recht wenig. Jeder SPÖler, jeder ÖVPler, jeder FPÖler wird eine andere Antwort auf die Frage haben, was Gerechtigkeit bedeutet. Die Idee der Steuergerechtigkeit für sich stehen zu lassen, ohne sie im Detail zu interpretieren, wäre daher nicht der beste Weg. Sie ist vage. Und man kann es auch nicht dabei belassen, zu sagen, dass Reiche viel und Arme wenig hätten und das an und für sich ungerecht sei.

derStandard.at: Wie würde es der Wähler besser verstehen?

Wehling: Man muss verdeutlichen, um welche moralischen Prinzipien es hier geht: Jeder trägt gemäß seiner Möglichkeiten und unter gleicher Anstrengung loyal zu dem gemeinschaftlichen System bei. Punktum. Was den finanziellen Aspekt betrifft, so können und müssen Bürger entsprechend ihren Ressourcen beitragen. Und Reiche können an dieser Stelle ihrer Pflicht nachkommen und besondere Verantwortung übernehmen. Immer auch aus dem Bewusstsein heraus, dass der wirtschaftliche Erfolg des Einzelnen stets auf den gemeinsam geschaffenen Strukturen aufbaut.

Kein Unternehmer baut seine eigenen Brücken. Kein Arzt betreibt seine eigene Forschung. Kein Schüler baut seine eigene Schule. Steuern beitragen heißt: Man gibt zurück und übernimmt zugleich Verantwortung. So organisieren wir Schutz und Freiheit: Verbraucherschutz, Umweltschutz, Schutz vor Kriminalität und Militärschutz ebenso wie Bildung, Zugang zu einem guten Arbeitsmarkt, unabhängige Medien, Forschung, Straßen, Brücken und Abflusssysteme.

derStandard.at: Bedienen sich Werner Faymann und Michael Spindelegger der gleichen Sprache?

Wehling: Politiker reflektieren einzelne Begriffe, die sie im Alltag nutzen, nicht immer genau und denken nicht immer darüber nach, welche Gedankenwelten sie in den Köpfen der Menschen aktivieren. Die Worte Steuererleichterung, Steueroase und Kapitalflucht werden beispielsweise viel zu oft von Bürgern - auch in der Volksvertretung - genutzt, die letztlich Steuern mit einem anderen Verständnis entgegentreten. Das spiegelt sich aber in ihrer Sprache nicht wider, was den demokratischen Prozess immens behindern kann. Wer eine Perspektive nicht klar benennen kann, darf auch nicht erwarten, dass der Mitbürger versteht, wo man politisch und moralisch steht.

derStandard.at: Sie fordern, dass Sprache strategischer eingesetzt wird. Läuft man da nicht Gefahr, auf Worthülsen zu setzen?

Wehling: Gar nicht, ganz im Gegenteil. Es geht hier um sprachliche und damit gedankliche Transparenz. Sprache ist keine Verzierung von Politik. Sprache ist kein Verkaufsinstrument für die Politik, sondern ein ganz wichtiger Bestandteil des demokratischen Prozesses. Dieser Aspekt darf bei keinem Wahlkampf und von keiner Partei vernachlässigt werden. Man muss sich erst einmal Klarheit über eigene moralische Perspektiven verschaffen. Dann muss man für diese Perspektiven entsprechende Schlagworte, Slogans und Bilder finden und sie ehrlich und effektiv kommunizieren.

Wenn Sie eine Werbeagentur für einen Wahlkampf beauftragen, kann das ein Problem sein, denn Werbeagenturen sind Experten darin, Produkte zu verkaufen. Aber nicht darin, politisches Gedankengut zu durchleuchten und eine wertebasierte, ehrliche Sprache zu finden, was für die Demokratie unabdingbar ist.

derStandard.at: Inwiefern?

Wehling: Politische Parteien sind generell gut damit beraten, die Kommunikation ihrer Grundvorhaben nicht an Werbeagenturen abzutreten. Deren Aufgabe ist es, Produkte zu verkaufen. Politik ist kein Produkt. Die Idee, dem Wähler Politik verkaufen zu wollen, ist im höchsten Maße undemokratisch. Eigentlich muss es darum gehen, für den Wähler transparent zu machen, wofür man steht. Und nicht selten werden von Agenturen sogar solche Kampagnen entwickelt, die den Werten ihres Auftraggebers direkt widersprechen und ungewollt gegnerisches Gedankengut propagieren. Einfach, weil man es nicht besser weiß.

derStandard.at: Sie haben ein Wertehandbuch der Sozialdemokratie geschrieben. Wie soll Ihrer Meinung nach ein sozialdemokratischer Wahlkampf aussehen?

Wehling: Den sozialdemokratischen Grundgedanken verbundene Menschen vertreten viele traditionelle Werte. Die österreichische Gemeinschaft baut zum Beispiel traditionell auf Solidarität auf, ebenso wie dem Glaube, dass alle Menschen gleichermaßen in ihrer Würde geschützt werden, alle nach ihren Möglichkeiten zur Gemeinschaft beitragen und alle die Freiheit genießen, die man gemeinschaftlich organisiert.

Diese Grundideen liegen schon vor, die Herausforderung ist es, die Menschen dort auch gedanklich abzuholen. Man muss die Werte aufzeigen, nach denen eine Partei handelt. Leider wird gerade in der sozialdemokratischen Politik oft eine sehr abstrakte Sprache verwendet und man beruft sich gerne auf Fakten und Zahlen, ohne diesen einen moralischen Kontext voranzustellen. Es fehlt die Anbindung an Werte und den gemeinsamen Alltag, der bereits zu einem Großteil durch diese Werte strukturiert ist. Politik muss hier viel greifbarer gemacht werden.

derStandard.at: Wie?

Wehling: In dem Buch geht es um die Begriffe Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Es wird benannt, was ganz konkret hinter diesen Konzepten steht, und ihre Rolle für das sozialdemokratische Denken und Handeln wird geklärt. Sehen Sie, die Begriffe an sich bedeuten recht wenig, denn sie werden von jeder politischen Gruppe anders interpretiert. In Österreich werden Begriffe wie Freiheit und Gerechtigkeit von allen Parteien genutzt. Die FPÖ benennt sich beispielsweise als "die Freiheitlichen", sie meinen aber mit Freiheit etwas anderes als die SPÖ. Der Schritt von den Werten hin zur Politik muss für den Mitbürger nachvollziehbar sein.

derStandard.at: Was kann Werner Faymann von der Kommunikation von Barack Obama lernen?

Wehling: Was man von Barack Obama mitnehmen kann, ist, dass er in seinem ersten Wahlkampf ganz klar über Werte gesprochen hat und diese Werte mit Positionen in Verbindung gebracht hat. Obama wurde zum Beispiel einmal vorgeworfen, er sei kein Patriot. In einem Fernsehinterview wurde er dann gefragt, ob er Patriot sei. Obama hat darauf sinngemäß gesagt, Patriotismus bedeute für ihn, dass andere einen angingen und man sich in seinen Mitmenschen wiedererkenne. Deshalb sei er für ein gemeinschaftlich organisiertes Krankensystem, gute Bildung und das Ende des Irakkriegs. Deshalb sei er Patriot.

Er hat in dem Moment das klassisch eher rechtspolitische Verständnis von Patriotismus abgelehnt und ihm einen demokratischen Patriotismus entgegengestellt. Er hat Patriotismus über demokratische Werte definiert und mit seinen politischen Zielen in Verbindung gebracht. Davon können sich andere Politiker inspirieren lassen. Man muss seine Werte als Basis seiner Politik begreifbar machen. Denn politische Gruppen und Parteien unterscheiden sich in erster Linie durch ihre Werte. Die Unterschiede in ihren Werten sind es, die dazu führen, dass sie aus gesellschaftlichen Fakten unterschiedliche politische Notwendigkeiten ableiten. (Marie-Theres Egyed, derStandard.at, 12.10.2012)