Welche Arbeiten in 20 Metern Höhe anstehen, wird im Baumkataster eingetragen.

Foto: Der Standard/Urban

Wien - Die Wurzelfräse, die ein Mitarbeiter der Wiener Stadtgärten per Fernsteuerung lenkt, macht im Boden alles klein. Von dem ausladenden Wurzelstock der Robinie, die lange Jahre bei der Roßauer Kaserne gestanden ist, bleibt schließlich nur noch dunkler Staub übrig, fein wie Puder. Der neue Baum, ein Celtis, liegt schon zum Pflanzen bereit auf einem Klein-Lkw - tags zuvor wurde er aus der stadteigenen Baumschule angeliefert.

Abgase, Hitze und Trockenheit

Daneben brausen die Autos auf drei Spuren die Türkenstraße in Richtung Innenstadt entlang. "Jeder Baum erreicht irgendwann sein physiologisches Alter", sagt Stadtgartendirektor Rainer Weisgram. Dieses liegt bei Straßenbäumen allerdings weit niedriger als bei ihren botanischen Kollegen in den Parks und Grünanlagen. Abgase, Hitze und Trockenheit setzen den Bäume zu. Nach 30 bis 40 Jahren müssen sie deshalb ausgetauscht werden, während die selbe Baumart in einem Park auch 100 Jahre und mehr erreichen kann. Ab Mitte Oktober, wenn die Vegetationsperiode endet, werden die neuen Bäume ausgesetzt.

Gesundheitszustand wird elektronisch erfasst

Mit neun Jahren verlassen die Pflanzen die Baumschule in Mauerbach. Die Jungbäume, die in diesem Herbst noch entlang der Ringstraße und in anderen Gegenden der Stadt gesetzt werden, stehen schon mit weißer Schutzfarbe auf dem Stamm und einem Netz um den Wurzelballen zum Abtransport auf dem weitläufigen Gelände bereit. Etwa 100.000 Bäume stehen entlang der Wiener Straßen, jeder einzelne ist in einem elektronischen Baumkataster erfasst. Baumkontrollore wie Thomas Hilscher aktualisieren den Kataster laufend. "Als Erstes wird bei einem Baum der Gesamteindruck bewertet", erzählt der ausgebildete Arborist, der seit neun Jahren den Zustand der Wiener Bäume checkt. Danach wird die Krone auf abgestorbene Teile, statische Fehler, Risse in den Ästen oder Pilzbefall untersucht. Eineinhalb Meter Abstand zu den Fassaden müssen eingehalten werden, der Baum darf keine Leitungen, Straßenlampen oder Ampelanlagen zuwuchern.

Seine Beobachtungen trägt Hilscher in eine mobiles Datenerfassungsgerät ein, von dem seine Einträge ins System eingespielt werden. Hilscher entscheidet auch, welche Arbeiten am Baum zu erledigen sind oder ob er bereits so morsch ist, dass er beim nächsten Sturm umstürzen könnte. "Es ist Laien oft schwer zu vermitteln, dass manchmal auch ein Baum gefällt werden muss, der äußerlich völlig gesund wirkt."

Meist reicht es, sogenanntes Totholz zu entfernen. Was einfach klingen mag, ist eine körperlich anstrengende Arbeit, die in 20 Metern Höhe viel Konzentration verlangt. So weit wie möglich erledigen Clemens Pistracher und sein Team die Arbeiten von einer Hebebühne aus. Doch gibt es immer wieder schwer zugängliche Stellen, die nur in Seilklettertechnik erreicht werden können. Ein Seilspezialist entfernt die morschen Äste, zwei Kollegen sichern ihn vom Boden aus und halten Passanten von der Gefahrenstelle fern. "Wenn wir in einem Baum arbeiten, bleibt immer wieder jemand stehen und fragt, was wir da machen", schildert Pistracher. Die meisten, die vorbeikommen, seien freundlich und interessiert - aber längst nicht alle: "Wir müssen uns auch so einiges anhören."

Jährliche Verjüngungskur

Auch Stadtgartendirektor Weisgram war heuer auf einiges Unverständnis gestoßen. Entlang der Ringstraße müssen 77 Bäume ersetzt werden. Eigentlich Business as usual, hätte sich diesmal nicht die schwarze Bezirksvorsteherin der Innenstadt, Ursula Stenzel, an einen Ringstraßenbaum gekettet, weil sie fand, es könne nicht mit rechten Dinge zugehen, dass ständig so viel Bäume ausgetauscht werden müssen. "Es werden so wie jedes Jahr auch heuer rund drei Prozent aller Straßenbäume in Wien verjüngt", sagt Rainer Weisgram, auf dem Ring würden jedenfalls auch weiterhin 2500 Bäume stehen. (Bettina Fernsebner-Kokert, DER STANDARD, 13./14.10.2012)