Vor 25 Jahren habe ich die "Seitenblicke" erfunden. Heuer habe ich die Quittung dafür bekommen: die Platin-Romy aus den Händen von Dagmar Koller. Die Frage ist nur, ob ich mir das verdient habe. Die einen sagen so, die anderen so. Viele meinen, dass mir recht geschehen ist, viele meinen, dass mich nur deshalb das Los getroffen hat, weil alle Pioniere dieser epochalen Sendereihe, denen man diese Ehre hätte angedeihen lassen können, schon verstorben sind.
Es ist mir also gar nichts anderes übrig geblieben, als diese Würdigung auf mich zu nehmen, gestärkt durch die Vorfreude auf die Laudatio durch die "letzte Diva" unserer Tage. Dass sie in dieser Festrede ausschließlich über sich und ihren Helmut sprach, lag wohl daran, dass sie trotz mehrmaliger Versuche nicht in der Lage war, meinen Namen auszusprechen. Macht nichts, dachte ich mir, ich werde mich in meiner Dankesrede selber loben. Aber soweit sollte es nicht kommen. Schon nach wenigen Sätzen wurde mir von einer Musikkapelle taktlos der Marsch geblasenund das Wort abgeschnitten, sodass vieles, was ich über die " Seitenblicke" sagen wollte, zunächst unverständlich wurde und schließlich ungesagt blieb. Ich sehe mich also gezwungen, meine Aussage schriftlich zu machen:
Immer wieder werde ich gefragt, wer denn die Idee zu dieser Sendung hatte, weil sich viele damit rühmten und immer noch rühmen. Hier ist die Antwort: Meine Frau Margit! Von mir ist nur der Titel und das Konzept. Es sollte eine tägliche, kurze Sendung werden, die mit Ironie und einem Schuss Satire und Gesellschaftskritik das Treiben der Prominenz reflektiert.
Man kann ja nicht wirklich sagen, dass dieses Vorhaben gelungen ist, aber es sind immer wieder einige Sendungen zustande gekommen, die dieses Niveau aufblitzen ließen, besonders als Karl Hohenlohe am Werk war.
Der Start vor 25 Jahren gestaltete sich außergewöhnlich riskant: Da die ZIB 2 aufgrund ihrer variablen Beginnzeiten unter rasantem Zuschauerschwund litt, beschloss ich , die "Seitenblicke" unmittelbar vor der ZIB 2 zu spielen, gewissermaßen als Quotenlokomotive. Was auch gelang. Nur: Es mussten sich alle Politiker, wenn sie von ihrem auch damals schon redlichen Tagewerk in ihr trautes Heim rechtschaffen müde und abgespannt zurückkehrten und sich im Fernsehen bewundern wollten, zunächst den Franz Antel, die Frau Sarata oder einen Baumeister ansehen.
Die Folge war ein Aufschrei der Politik. Das ORF Kuratorium (der heutige Stiftungsrat) kochte. Der Untergang der Kulturnation Österreich wurde prophezeit, die Boulevardisierung des Landes und der Weg des öffentlich rechtlichen Rundfunks in die Gosse angezeigt.
Am heftigsten reagierte der "Freundeskreis" der damaligen Oppositionspartei ÖVP. Ihr Vorsitzender Heribert Steinbauer bezeichnete die Sendung als Volksverdummung (worüber man in manchen Fällen ja reden könnte) und forderte indirekt meinen Rücktritt. Nach dieser Sitzung kam er allerdings außergewöhnlich freundlich auf mich zu und bat mich, zu veranlassen, dass der vom ORF so schlecht behandelte Bundespräsident Kurt Waldheim wenigstens in den "Seitenblicken" gelegentlich wahrgenommen wird. Ich erklärte ihm höflich, aber amüsiert, dass ich mich niemals in redaktionelle Angelegenheiten einmische. Dann verabschiedeten wir uns bis zum nächsten Krach.
Die Waldheim-Situation
Am Abend wartete ich auf den Bericht über diese Kuratoriumssitzung in der ZIB 2 und musste mir vorher die "Seitenblicke" ansehen. Zu meinem großen Entzücken sah man einen ausführlichen Bericht über ein großes Fest in der großen Wohnung der großen Operettendiva Birgit Sarata, die sich damals noch nicht für Marmelade interessierte, sondern für Waschpulver. Der Reporter interviewte in submissester Haltung die Künstlerin. Plötzlich sah man im Hintergrund zwischen zwei Plüschfauteuils den Herrn Bundespräsidenten vorbei huschen. Als er den Reporter bemerkte, machte er einen Schritt zurück, schaute in die Kamera und ging dann resigniert weiter.
Dem Reporter ist das trotz seiner verkrümmten Position nicht entgangen und er fragte lauernd: "Ist der Herr Bundespräsident auch anwesend?" Und als die Gastgeberin glucksend bejahte, schoss er blitzschnell die nächste investigative Frage ab: "... und wie gefällt es ihm hier?" Die Sängerin öffnete den Mund wie zu einer Arie und schmetterte ein "jaaaaa, sehr! Sehr, sehr gut, er ist begeistert". Dann machte sie eine kleine Pause. Ihr sorgfältig gepudertes Gesicht bekam einen nachdenklichen , wenn nicht sogar etwas vorwurfsvollen Ausdruck , als sie sagte: "Schauns - er wird ja sonst nirgends eingeladen!"
Ich bin überzeugt , dass es ein Zufall war, dass ich wenige Tage später vom Herrn Bundespräsidenten zu einem Mittagessen ins Palais Pallavicini eingeladen wurde. Zwischen Markknöderlsuppe und gefüllter Kalbsbrust beklagte der Herr Bundespräsident die Tatsache, dass er vom ORF ignoriert würde. Ich versicherte ihm, dass ich auf redaktionelle Entscheidungen keinen Einfluss nehme und dafür um Verständnis bitte. "Ja" , sagte er "aber Sie machen ja eine eigene Sendung "Seinerzeit", warum laden Sie mich da nicht ein?" "Nichts für ungut" antwortete ich ihm etwas verlegen, "aber die Sendung lebt davon, dass sich meine Gäste erinnern." Beim Dessert, ich glaube, es war ein Apfelstrudel, unterhielten wir uns über New York .
Allmählich wurde auch den Zeitungsredaktionen bewusst, dass diese " Seitenblicke" eine Konkurrenz für ihre Klatschkolumnen darstellten. Wer die Zeitungen und die Politik gegen sich hat, ist im ORF arm dran. Aber die Quoten stiegen und stiegen. Doch die Rufe nach einer Absetzung dieser "Schmuddelsendung" wurden immer lauter. Hochangesehene Persönlichkeiten erklärten öffentlich, aber ungefragt , dass sie sich niemals in die Niederungen dieser Sendung begeben würden, um sich dort interviewen zu lassen. Unter ihnen Andre Heller und Sacher-Chefin Elisabeth Gürtler. Ohne sie wären die "Seitenblicke" heute undenkbar.
Als die Sendung kurz vor ihrer Einstellung stand, kam mir der rettende Einfall: ich musste ihr ein besseres Image verschaffen. Am besten macht man das mit einem neuen Chef. Vielleicht ein hoch angesehener Chefredakteur, Ex-ORF-Intendant und Exminister. Richtig: Franz Kreuzer. Mit ihm waren die "Seitenblicke" gerettet.
Michael Jeannée, später selbst "Adabei", bäumte sich noch einmal auf und widmete in der "Krone" der Sache eine Doppelseite und diese Schlagzeile: " Sans narrisch wurn, Herr Kreuzer?" - Warum narrisch? Für den Minister war das die Fortsetzung des Umweltschutzes mit anderen Mitteln. Mittlerweile sind die "Seitenblicke" zu einem Selbstläufer geworden. Sie garantieren, ob sie gut sind oder schlecht, ob witzig oder fad, ironisch oder einfallslos, die Quoten im Hauptabend.
Wohl dem, der Gutes tut
Aber sie sind viel mehr als ein Quotenhit. Sie sind ein Teil des österreichischen Selbstverständnisses. Jeder kann berühmt werden. Andy Warhol hätte seine Freude. Nicht wer prominent ist, kommt in die " Seitenblicke", nein, wer in die "Seitenblicke" kommt, wird prominent.
Das ist ja die frohe Botschaft unserer Gesellschaft: Jeder kann reich werden und jeder kann in die "Seitenblicke" kommen. Ja, aber wie kommt man als Nichtprominenter in die "Seitenblicke"?
Da gibt es mehrere Möglichkeiten - zum Beispiel den Marchfelder Hof. Er ist ein echtes Kraftfeld dieser Sendung. Streichen Sie ums Haus und warten Sie auf eine Chance. Es beginnt dort fast im Stundentakt eine gesellschaftliche Veranstaltung.
Heften Sie sich an die Fersen des Dompfarrers Faber. Er ist der gute Hirt'. Er wird Sie in den Weinberg des Herrn führen, wo es vor Kamerateams nur so wimmelt. Dann gibt es auch das weite Feld der Wohltätigkeit bzw. "Charity". Haben Sie keine Scheu. Was immer Sie auch sind, ob Teppichhändler oder Bäcker, Marmeladenfabrikant oder Baumeister - Wohltätigkeit ist ein Gewerbe wie jedes andere auch. Die Umwegrentabilität Ihrer Spende ist enorm. Wenn Sie sich einmal als professioneller Wohltäter etabliert haben, werden Ihre Geschäfte florieren. Daran ist nichts auszusetzen. Solange unsere Gesellschaft nicht in der Lage ist, ihre Bedürftigen aus der Not zu befreien, ist jeder noch so prominente Spender willkommen.
Nach 25 Jahren glaube ich, haben die "Seitenblicke" viel bewirkt. Sie sind nicht so geworden, wie ich mir das vorgestellt hatte, und das ist gut so, denn Ironie und Satire sind zwei liderliche Schwestern, die schon so mancher Sendereihe das Lebenslicht ausgeblasen haben.
Die "Seitenblicke" werden also ewig bestehen. Sie sind ein Teil des Systems. Systemerhalter gewissermaßen. Ihr Ende wäre ein noch größeres Unglück als die Rückkehr Österreichs zum Schilling. - In diesem Sinne: ad multos annos. (Teddy Podgorski, DER STANDARD, 13./14.10.2012)