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Die Gruppe von in Österreich lebenden Menschen, die sich an der parlamentarischen Demokratie nicht beteiligen (dürfen), wird durch das strenge Staatsbürgerschaft noch größer.

Foto: dpa/Jan Nienheysen

Manchmal ist es nötig, umzudenken - unter der Last der aktuellen Entwicklungen. Auch, wenn man seine Ansichten bisher gut durchargumentieren konnte, so wie es Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) und andere InnenministeriumsrepräsentantInnen beim Thema Einbürgerungen tun. Konkret geht es um die in diesen Kreisen vertretene Ansicht, dass das ÖsterreicherIn-Werden die Krönung einer erfolgreichen "Integration" (wie der vielfach unbestimmte Oberbegriff fürs Ankommen und sich Einfinden lautet) ist. Dass also mit der Vergabe des Ösi-Passes an EinwanderInnen zugewartet werden sollte, bis diese imstande sind, strenge Bedingungen zu erfüllen, weil andernfalls eine Entwertung der rot-weiß-roten Staatsbürgerschaft ins Haus steht.

Diese Sicht der Dinge droht angesichts der demografischen - und, dadurch bedingt, der demokratiepolitischen - Entwicklung in Österreich selbstschädigende Züge anzunehmen. Zumal in Zeiten, in denen das demokratisch-parlamentarische System mit Parteien und PolitkandidatInnen, die zu Wahlen antreten, aufgrund des Aufdeckens etlicher Korruptionsfälle ohnehin geschwächt ist.

Denn durch solche Skandale wenden sich BürgerInnen tendenziell von dem politischen System ab, das sie produziert - auch wenn die Wahrheit vielleicht ist, dass durch U-Ausschuss und verschärfte Antikorruptionsgesetze jetzt bekannt wurde, was man in früheren Zeiten einfache vertuschte. Viele, die dürften, werden nicht mehr zur Wahl gehen. Und werden damit die Gruppe von in Österreich lebenden Menschen vergrößern, die sich an der parlamentarischen Demokratie nicht beteiligen - außer, dass sie als "freiwillige" NichtwählerInnen die Stimmen entschlossenerer ParteigängerInnen aufwerten.

Entscheiden tun andere

Dadurch werden aber auch sie keinen Einfluss auf Gesetzesprojekte und deren Durchsetzung mehr nehmen, obgleich sie von den Regelungen betroffen sind: Genauso wie die inzwischen recht vielen Menschen, die in Österreich leben, Kinder und Kindeskinder haben, arbeiten und Steuern zahlen, aber trotzdem nicht wählen dürfen. Weil sie die österreichischen Staatsbürgerschaft nicht besitzen - vielfach aufgrund der von Staatssekretär Kurz und anderen Regierungsverantwortlichen verteidigten strengen Zugangsbedingungen.

In Wien sind das inzwischen schon 21 Prozent der Bevölkerung, wie die neueste statistische Erhebung, der Wiener Integrationsmonitor, ergeben hat - und da die meisten dieser MitbürgerInnen ihren so genannten Migrationshintergrund in Staaten außerhalb der EU haben, dürfen sie nicht einmal auf Bezirksebene mitbestimmen. Ihr vom strengen Staatsbürgerschaftsgesetz zementierter demokratiepolitischer Ausschluss wiegt umso schwerer, als sie als "inländische AusländerInnen" nicht über die Ausländergesetze mitbestimmen können, denen sie unterliegen. Somit auch nicht über allfällige Änderungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes.

Dieses steht jetzt im Herbst zur Novellierung an, nachdem eine Reihe von der Volksanwaltschaft gesammelter und in Medienberichten verbreiteter Härtefälle den Blick auf diese Gesetzesbaustelle lenkten: Auf Menschen, die aufgrund so genannter Behördenfehler jahrzehntelang als ÖsterreicherInnen galten, samt Pass, Staatsbürgerschaftsnachweis und Präsenzdienstableistung, bis dieser Fehler im Zuge von Amtshandlungen offenbar wurde - und sich herausstellte, dass sie unter den herrschenden gesetzlichen Bedingungen keine Chance auf Neueinbürgerung haben. Und auf erwachsene Personen, die von Kindesbeinen an in Österreich leben, aber aufgrund einer Behinderung schlicht nicht imstande sind, genug zu verdienen, um die hohen Einkommensvorgaben für den Staatsbürgerschaftserwerb zu schaffen.

Österreich mit am strengsten

Diese Härten sollen jetzt ausgebügelt werden, lautete zumindest die ursprüngliche Absicht. Entwurf gibt es noch keinen. Doch nur an kleinen Schrauben zu drehen, ist beim Staatsbürgerschaftsgesetz im Grunde viel zu wenig: Im europaweiten Vergleich gehören sie österreichischen Einbürgerungsregeln zu den allerstrengsten.

Letzteres hat eine Studie des Politikwissenschafters Rainer Bauböck ergeben, dem Kodirektor des European Observatory on Democracy (Eudo) an der Universität von Florenz (Italien). Bei den meisten der 57 Indikatoren für das Ausmaß der in Staatsbürgerschaftsfragen eingeräumten Wahlfreiheit unterbietet die österreichische Gesetzgebung den EU-15-, EU-27- sowie den Europaratsdurchschnitt.

Mit einem signifikanten, liberalen Ausreißer: Bei der Einbürgerung wegen besonderer Verdienste, wie sie verdiensten SportlerInnen und OpernsängerInnen sowie dienlichen russischen und anderen InvestorInnen winkt. Doch ob gerade sie das zunehmende Demokratiedefizit in Österreich aufwiegen können, ist zu bezweifeln.  (Irene Brickner, derStandard.at, 13.10.2012)