Bild nicht mehr verfügbar.

Blecha kann sich "überhaupt nicht erklären", warum Faymann am SPÖ-Parteitag ein so schlechtes Ergebnis eingefahren hat.

Foto: apa/Hochmuth

STANDARD: Können Sie das schlechte Wahlergebnis für Parteichef Faymann nachvollziehen?

Blecha: Ich kann es mir überhaupt nicht erklären.

STANDARD: Was wollen Sie selbst in der Partei noch werden?

Blecha: Nix! Ich hab‘ das Glück, dass ich gar nichts mehr werden brauch. Ich will nur mithelfen, dass die Partei wieder ein bisserl mehr Bewegung wird.

STANDARD: Ist sie das zu wenig?

Blecha: Ich hatte schon den Eindruck, dass wir manchmal am Stand treten, oder nicht?

STANDARD: Parteichef Faymann hat Sie ersucht, das Parteiprogramm zu überarbeiten. Fühlen Sie sich rüstig genug? Sie sind zwar erst 79...

Blecha: Ich hab sehr viel um die Ohren, alles ehrenamtliche Funktionen, für die ich keine Vergütung bekomme, aber viel Zeit aufwende. Daher ist die Frage berechtigt, ob ich das noch unterbringe.

STANDARD: Und, bringen Sie?

Blecha: Es ist mir ein Herzensanliegen. Die Jungen haben ein neues Parteiprogramm verlangt und die Partei will dem entsprechen. Wir werden uns bemühen, ein sehr ordentliches Programm mit Kanten und Ecken zustande zu bringen. Ein Programm, das es jenen Menschen, die nicht so eng mit uns verbunden sind, leichter macht, zu sehen, was wir eigentlich wollen. Dieses Programm soll uns auch immun machen gegen Diffamierungen, wie sie jetzt etwa mit der sogenannten Millionärssteuer gang und gäbe sind.

STANDARD: Die Jungen wollten ein neues Programm. Ist es das richtige Signal, wenn dann ausgerechnet der Pensionistenchef diese Arbeit übernimmt?

Blecha: Die Jungen sind ja die Träger. Sie wollen das Programm haben, und ich bin einer, der der ihnen mit seiner Erfahrung helfen will. Ich weiß, wie man einen Diskussionsprozess unter Einbeziehung zehntausender Interessierter organisiert. In diesen Prozess würde ich natürlich so wie alle anderen eigene Vorstellungen einbringen. Ein Programm der SPÖ muss auf klaren Analysen der Gesellschaft, die wir heute haben, und der Entwicklungstendenzen, die diese Gesellschaft hat, aufbauen. Wo stehen wir und wo geht's hin.

STANDARD: Und wo soll die Reise hingehen? Wo fehlen denn die Ecken und Kanten?

Blecha: Ganz klar. Wir brauchen eine Weiterentwicklung der politischen Demokratie und Durchsetzung von mehr Freiheit für den Menschen, mehr Gleichheit unter den Menschen, mehr soziale Gerechtigkeit und Solidarität in der Gesellschaft. Man muss immer wieder nachschauen, ob durch bestimmte Maßnahmen, die man setzt um mehr Gleichheit zu erreichen, nicht Freiheitsrechte verletzt werden und individuelle Freiheitsrechte wiederum ein höheres Maß an sozialer Gerechtigkeit hemmen. Das muss man prüfen und solche Widersprüche muss unser Diskussionsprozess auflösen.

STANDARD: Im Dialog zwischen Ihnen und den Jungen?

Blecha: Im Dialog zwischen allen Interessierten. Ich werde vorschlagen wirklich namhafte Wissenschafter unserer Zeit dazu einzuladen. Das müssen nicht einmal Sympathisanten der Sozialdemokratie sein. Gscheit müssen sie sein und wir müssen sie uns anhören.

STANDARD: Gibt es Vorgaben vom Parteichef, was in dem neuen Programm unbedingt drinnen stehen muss und was keinesfalls vorkommen darf?

Blecha: Gar keine Vorgaben gibt es! Ich bin nur gefragt worden, ob ich die Koordination übernehmen kann, und ich hab Ja gesagt. Jetzt möcht ich auch genauer wissen, welche Vorstellungen die Partei hat, vor allem die Jugend, die ja den Antrag gestellt hat. Ich weiß nur, dass das dem Michael Häupl nicht passt, weil die Diskussion in eine Wahlzeit fallen wird.

STANDARD: Stört Sie das?

Blecha: Es kann nicht schaden, in Wahlzeiten Forderungen mit sozialdemokratischen Grundsätzen zu begründen und zu erklären. Die SPÖ wird auf die Konsequenzen der Finanzkrise nicht mit der Kapitalismuskritik der früheren Jahre reagieren können, sondern wird neue Antworten im Sinne ihrer Grundwerte finden müssen. Da muss man sich hinsetzen und mit den Menschen reden. Wir müssen formulieren womit wir unzufrieden sind und was wir verändern wollen. Da entstehen die Ecken und Kanten. Ich darf nicht nur vage sagen, ich will mehr Gerechtigkeit und so. Ich muss das konkret benennen können. Am Ende eines neuen Grundsatzprogrammes muss ein Katalog konkreter Forderungen stehen.

STANDARD: Ist die Debatte um Verteilungsgerechtigkeit nicht einengend im Wahlkampf?

Blecha: Gar nicht. Die ÖVP liegt völlig falsch. Die Grenze bei der Vermögenssteuer liegt bei einer Million, das trifft doch den Mittelstand gar nicht. Selbst ein sehr gut situierter Angestellter erreicht die Million nie.

STANDARD: Der Mittelstand ist aber sehr wohl verunsichert und fühlt sich in der Debatte angesprochen.

Blecha: Der Mittelstand ist verunsichert, daher muss man gegensteuern, muss alles genau erklären. Was die SPÖ will, schließt aus, dass der Mittelstand betroffen ist. Im Gegenteil: Die Entlastung der Arbeit zugunsten von Belastung des Kapitals hilft dem Mittelstand. Schon jetzt trägt der Mittelstand die meisten Lasten. Diejenigen, die von einer Vermögenssteuer betroffen wären, sind nicht der Mittelstand, sondern die Millionäre. Ich glaube, wir können in der Wahlbewegung der ÖVP haushoch überlegen sein, wenn es uns gelingt, die richtigen Informationen unter die Leute zu bringen und wenn unsere eigenen Leute so mobilisieren können, dass sie etwa am Stammtisch erklären: "Heast, Du mit deiner Hütt‘n und deiner Kraxen bist gor net dabei!"

STANDARD: Im aktuellen Parteiprogramm ist von einer "Gesellschaft, in der die Klassengegensätze überwunden sind", die Rede? Ist das noch aktuell, wird das im neuen Programm auch Platz finden?

Blecha: Wenn‘s nach mir geht: Ja. Für diesen Satz hab ich damals sehr gekämpft.

STANDARD: War das nicht feig, den Antrag zur Einführung von Studiengebühren beim Parteitag in irgendwelchen Arbeitsgruppen zu verräumen, statt sich der Diskussion zu stellen? Vielleicht gibt es in der SPÖ längst eine Mehrheit für Studiengebühren und die Partei weiß es nur nicht.

Blecha: Feig war das nicht, sondern klug. Das wäre eine sehr heftige Debatte geworden, das ist bei uns ein echtes Streit- und Reizthema. Aber es hätte am Parteitag kein Ende der Debatte gegeben.

STANDARD: Da darf man nur über Themen reden, über die sich alle einig sind, da ist nur Harmonie gestattet?

Blecha: Natürlich nicht. Aber das Thema "Studiengebüren" hätte den Rahmen einer eintägigen Veranstaltung gesprengt. Und als Kenner der Gesetzmäßigkeiten sage ich Ihnen: Ein Parteitag, bei dem so ein Thema im Streit offen stehen gelassen wird, ist das Schlimmste. In dieser Frage hätte es in zwei Stunden Diskussion nie zu einem von einer großen Mehrheit getragenem Kompromiss kommen können.

STANDARD: Jetzt bleibt diese Frage aber erst recht offen.

Blecha: Wir müssen diskutieren. Ich habe mich in der Antragskommission auch dafür eingesetzt, dass wir eine Arbeitsgruppe damit befassen. Die muss bis Ende des Jahres zu einem Ergebnis kommen.

STANDARD: Wenn die SPÖ über ihr Programm diskutiert, wird immer auch gleich die Forderung nach einer Öffnung der Partei thematisiert. Auch dieses Mal wieder?

Blecha: Unbedingt!

STANDARD: Wie geht das? Wie öffnet sich eine Partei?

Blecha: Wir haben die herkömmlichen Kommunikationsformen und jetzt gibt es das Internet, beide müssen wir nützen.

STANDARD: Und das ist dann die Parteiöffnung?

Blecha: Natürlich, weil jeder eingeladen ist und über verschiedene Zugänge an unserer Diskussion teilnehmen kann. Mit dem Internet kann das ein jeder. Wir müssen vor allem mehr junge Leute einbeziehen. Die jungen Leute machen sich echt Sorgen, wie die Welt in 20 Jahren ausschauen wird, der Klimawandel, soziale und ökologische Probleme der Globalisierung, himmelschreiende Ungleichheiten, die Pensionen und das alles. Die jungen Leute sind verunsichert und ziehen sich zurück ins Private. Diese Passivität ist ganz typisch jetzt. Es gibt Zukunftsangst.

STANDARD: Und diese Angst können Sie den Leuten nehmen?

Blecha: Das muss man! Wir brauchen eine Mitmach-Demokratie. Man muss den Leuten klar machen, dass sie ihr Schicksal selber in die Hand nehmen, eben mitmachen müssen. (Michael Völker, DER STANDARD, 15.10.2012)