Karoline Käfer im Oktober 2012 vor dem neuen Klagenfurter Stadion, das nicht allzu oft aufsperrt.

Foto: Zelsacher

Klagenfurt - Man trifft einander beim Stadionwirt in Waidmannsdorf. Frau Käfer (57) hat zwei dicke Aktenordner mitgebracht. Zeitungsausschnitte sind drin, sie dokumentieren eine außergewöhnlich lange und erfolgreiche Sportkarriere. Vom "schnellen Käfer" ist zu lesen, vom "flotten Käfer" und vor allem vom "tollen Käfer", der sich geradezu aufgedrängt hat damals in Anlehnung an die US-Filmkomödie von Herbie, dem VW Käfer, der alles konnte. Tatsächlich: "Ich hab den Führerschein erst 1990 gemacht. Mein erstes Auto war ein Käfer. Aber nur deshalb, weil es das billigste war. Sieben Jahre bin ich damit gefahren, 550.000 Kilometer hat er gehabt. Leider ist dann von unten das Wasser durchgekommen, er war verrostet."

Seit fünf Jahren arbeitet Frau Käfer in der Kantine des Ingeborg-Bachmann-Gymnasiums in Klagenfurt. "Meine Sportlerkollegen habe ich alle aus den Augen verloren, ich bin in Vergessenheit geraten", sagt sie, "damit kann ich leben. Viele Schüler wissen aber, was ich geleistet habe. Die haben mir auch erzählt, dass ich im Internet bin. Ich hab ja kein Internet." Siebenmal wurde sie zu Kärntens Sportlerin des Jahres gewählt, das ist Rekord. In Gesamtösterreich wurde sie einmal Zweite hinter Annemarie Moser-Pröll. An die Ehrung im vollen Wiener Stadion in einer Länderspielpause kann sie sich gut erinnern.

Die Welt gesehen

"Ich hab die Welt gesehen durch den Sport", erzählt sie. "Den unvorstellbaren Terror in München, die Armut in Moskau, Mütter in Mexiko, die mit ihren Kindern am Straßenrand lebten. Ich will gar nicht mehr reisen. Ich gehe gern in die Berge."

Abgesehen davon hat alles in Waidmannsdorf begonnen. In der Gegend stand damals noch das alte Stadion mit Laufbahn und Trainingsbahnen daneben und nicht das neue Fußballstadion, das für die EURO 2008 errichtet wurde und seither kaum in Gebrauch ist. Käfer wohnte gleich daneben. "Ich hab immer rübergeschaut zum Stadion, hab mich aber lang nicht getraut. Ich war sehr schüchtern." Schließlich nahm sie sich ein Herz und fragte, ob sie mittrainieren dürfe. "Wir waren fünf Kinder, der Vater war Arbeiter, die Mutter in einer Gärtnerei beschäftigt. Eisschuhe haben wir uns nicht leisten können, Ski schon gar nicht. Leichtathletik war die billigste Sportart."

Als Elfjährige klopfte sie an beim Klagenfurter Leichtathletik Club. " Der Trainer hat gleich gesehen, was los ist. Ich war aber eine Barfußläuferin. Der Trainer hat mir Laufschuhe mit Spikes gekauft. Privat, die anderen durften es nicht sehen.1971 ist es dann richtig losgegangen." Als 17-Jährige nahm sie über 200 und 400 Meter bei der EM in Helsinki teil und erreichte die Zwischenrunde. Genauso wie ein Jahr später bei Olympia in München. Für Olympia 1976 in Montreal qualifizierte sie sich, musste aber verletzungsbedingt passen. 1980 in Moskau war sie wieder dabei.

Ihre größte Tat lieferte Käfer 1977 bei einem Bundesländervergleichskampf in Klagenfurt. Binnen 50, 62 Sekunden fixierte sie Weltbestleistung über 400 Meter. Als österreichischer Rekord hat diese Marke immer noch Bestand, es ist der älteste nationale Rekord der Leichtathletik. Dem männlichen Ego freilich habe dieser Lauf nicht gutgetan. Die Kärntnerin war schneller als alle Kärntner. "Die haben sich geärgert."

Käfer hielt auch die Rekorde über 100 und mehr als 20 Jahre lang über 200 Meter. Später stieg sie auf längere Distanzen bis hin zu Berglauf und Marathon um, sammelte, inklusive Staffeln, rund 60 Staatsmeistertitel, den letzten erst vor fünf Jahren. "Ich weiß gar nicht mehr, in welcher Disziplin." Dazu kamen eine Silber- und zwei Bronzemedaillen bei Hallen-Europameisterschaften. "Ich war 41 Jahre lang aktiv", sagt sie. "Man sagt immer, Hochleistungssport ist schädlich. Mir fehlt gar nichts. Der Trainer hat aufgepasst. Ich habe am Anfang nur dreimal die Woche trainiert. Später dann dreimal am Tag. 20 Jahre lang. Im höheren Alter hab ich zurückgeschraubt. Ich hab kleinere Verletzungen gehabt, aber keine Operation."

Nichts zum Verdienen

Zum Verdienen gab es in der Leichtathletik nichts. "Wir durften gar nicht, der Avery Brundage war IOC-Präsident, es galt der Amateurparagraf. Es stand auch keine Industrie dahinter." 1971 wurde die Sporthilfe gegründet, "da hab ich etwas für Sportausrüstung bekommen". Bei Autogrammstunden gab es etwas zu verdienen. "Inoffiziell, aber heute kann ich es ja sagen." Einmal schrieb sie Autogramme in einer Wiener Bank. "Zufällig ist der Herr Kreisky hereingekommen. Er hat mir die Hand gegeben und gesagt, dass er mich gut kennt, weil er ja oft in Kärnten ist."

Quasi naturgemäß muss man mit einer Sprinterin über Doping reden. Käfer zum Stichwort: "Das muss jeder für sich entscheiden. Ich glaube aber nicht, dass man ohne Doping an die Weltspitze kommt. Gott sei Dank wird es heute wenigstens unter ärztlicher Aufsicht getan. Früher ist probiert worden, was am Markt war."

Käfer hat mit 15 Jahren mit gerichtlicher Erlaubnis geheiratet. Die Tochter war unterwegs und sollte später viel Zeit im Stadion verbringen und noch später die Alben mit den Zeitungsartikeln anlegen. Einmal wurde Frau Käfer, die heute zweifache Großmutter ist, gemeinsam mit der Tochter, die heute Ärztin ist, Staatsmeisterin in der 400-m-Staffel.

Zwei Jahre hat Käfer nun nicht trainiert. "Ich war faul und hab viel gegessen. Das hab ich ja früher nie dürfen." Vor kurzem nahm sie das Training wieder auf. "Ich hab gleich eine Muskelzerrung gehabt. Ich hab geglaubt, ich bin noch eine Spitzensportlerin. Aber das muss raus aus dem Kopf." (Benno Zelsacher, DER STANDARD 15.10.2012)