Der beste Beweis dafür, wie kurz das menschliche Gedächtnis in der Politik sein kann, sind die jüngsten Regional- und Senatswahlen in Tschechien. Die unreformierten tschechischen Kommunisten, die sich auch zwei Jahrzehnte nach der Wende weigern, klar zu ihrer stalinistischen Vergangenheit auf Distanz zu gehen, etablierten sich vielerorts als tonangebende politische Kraft.

Der Gedächtnisverlust bezieht sich auch auf ein anderes Problem des heutigen Tschechien, die Korruption. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass mit Jirí Dolejš eben jener kommunistischer Politiker sensationell die relative Mehrheit in einem Prager Senatskreis erhielt, der vor wenigen Jahren mit verdeckter Kamera aufgenommen wurde, als er sich bereiterklärte, gegen Bezahlung zugunsten von Glücksspiel-Lobbyisten zu intervenieren und ein entsprechendes Gesetz zu beeinflussen.

Und auch der Christdemokrat Jirí Cunek, der mit fast fünfzig Prozent das beste Einzelergebnis aller Senatskandidaten einfahren konnte, erlebt eine politische Auferstehung. Vor einigen Jahren, als Cunek Vizepremier war, paralysierte dessen Bestechungsaffäre über Monate das damalige Kabinett. Es folgte eine beispiellose Intervention der Staatsanwaltschaft, weil das Überleben der Regierung auf dem Spiel stand. Der Fall wurde schnell zu den Akten gelegt. Nun darf sich Cunek als Held feiern lassen, auch wenn sein Triumph einen schalen Beigeschmack hinterlässt. (DER STANDARD, 15.10.2012)