Nach 31 Jahren im Exil wieder zurück in der Türkei: Aktivist und Politiker Kemal Burkay.

Foto: Kemal Burkay

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Der Verantwortliche für den Putsch des "12. September" (1980): Kenan Evren hier bei der Stimmabgabe zum Verfassungsreferendum, das in weiterer Folge die strafrechtliche Verfolgung der Putschisten ermöglicht hat.

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"Erhebe deine Stimme gegen den Putsch!"
Das türkische Militär war jahrzehntelang ein politischer Akteur und putschte drei Mal.

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Der Publizist Kemal Burkay war bereits in seiner Studentenzeit politisch aktiv und setzte sich für die Rechte der Kurden in der Türkei ein. Als Autor und Herausgeber vieler politischer Magazine und Bücher, wurde er wiederholt verurteilt und saß in Haft. Der linke Aktivist gründete die Sozialistische Partei-Kurdistans (PSK), die vor der PKK starken Einfluss auf die kurdische Diaspora hatte. Er war nach dem Militärputsch 1980 aus der Türkei geflohen und lebte 31 Jahre im schwedischen Exil. Seine Rückkehr in die Türkei wurde als positives Signal aufgefasst. Seit seiner Rückkehr hat er wiederholt die PKK zum Gewaltverzicht aufgefordert und die türkische Regierungspartei AKP hatte sich vergebens um seinen Beitritt in die islamisch-konservative Partei bemüht. Burkay war stets Verfechter einer gewaltfreien Lösung der Kurdenfrage in der Türkei.

Mit derStandard.at sprach Kemal Burkay über seine Rückkehr, die Kurdenfrage und die Notwendigkeit der Gewaltfreiheit.

derStandard.at: Mit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien konnten sich auch die Kurden als eigenständiger Akteur behaupten. Wie beeinflusst die Lage in Syrien die Haltung der türkischen Kurden?

Kemal Burkay: Auf beiden Seiten der 730 Kilometer langen türkisch-syrischen Grenze leben überwiegend Kurden. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die mehrheitlich kurdisch besiedelten Gebiete zwischen den diversen Nationalstaaten aufgeteilt. Auch der kleine türkische Grenzort Akçakale (eine syrische Granate hatte fünf Zivilisten getötet, Anm.) ist ein solcher Ort, der von der willkürlichen Grenzziehung betroffen ist. Daher beeinflusst der Konflikt in Syrien natürlich auf beiden Seiten der Grenze die Kurden. Denn auch wenn die Kurden in Syrien nicht unmittelbar in die Kämpfe eingreifen, wollen sie Autonomie und die Wahrung ihrer Rechte.

derStandard.at: Die PKK intensivierte ihre Angriffe im Südosten der Türkei, als das politische Klima in der Türkei gut war. Ist die PKK damit nicht zu einer Garantie des Status quo geworden?

Burkay: Ja, natürlich. Die PKK begann verstärkt anzugreifen, just zu jenem Zeitpunkt, als die kurdische BDP mit einem guten Ergebnis in den letzten Wahlen zusammen mit den anderen Parteien an einer neuen Verfassung in der Türkei zu arbeiten begann. Sogar der inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan hatte sich für eine friedliche Lösung ausgesprochen, wurde aber offensichtlich von der PKK-Zentrale im irakischen Kandil-Gebirge ignoriert.

derStandard.at: „(Der türkische Ministerpräsident) Erdogan kann das Kurdenproblem lösen", hatte die bekannte Kurdenpolitikerin Leyla Zana gesagt und wurde dafür von der Kurdenpartei BDP hart kritisiert?

Burkay: Natürlich gibt es auch innerhalb der BDP viele, die so denken wie Leyla Zana. Dass die PKK die Waffen niederlegen soll, weil die Bemühungen der Kurden nicht gewalttätig vorgetragen werden sollen, dürfte mittlerweile von den meisten gesehen werden, allerdings sind eben die offiziellen Statements der BDP nicht dementsprechend. Auch wenn also Leyla Zana von der BDP-Führung kritisiert worden ist, denke ich nicht, dass sie innerhalb der Partei und schon gar nicht unter den Kurden alleine steht.

derStandard.at: Sie sagen, eine Lösung der Kurdenfrage in der Türkei sei auch ohne die PKK möglich. Brauchen die türkischen Kurden eine Organisation, die sie vertritt?

Burkay: Natürlich mussten und müssen sich die Kurden organisieren, das ist unbestritten. Auch ich war lange Jahre politisch aktiv, heute bin ich Parteimitglied der HAK-PAR (Partei der Rechte und Freiheiten, Anm.), aber es ist eben wichtig, dass es kein Monopol unter den kurdischen Organisationen gibt. Die PKK hat ein solches Monopol eben nicht inne, auch weil sie in der Vergangenheit viele Dinge getan hat, die nicht im Sinne des kurdischen Volkes waren. Daher denke ich, dass man der PKK ein solches Monopol auch nicht zusprechen darf. Denn die Kurden wollen in der Türkei das, was alle Völker für sich auf der ganzen Welt wollen - die Garantie ihrer Grundrechte und Freiheiten. Denn wenn die Türkei ihre Kurdenfrage lösen will, wird das nur darüber laufen können.

derStandard.at: Kann es in der Türkei eine kurdisch versierte Partei geben, die sich von der PKK emanzipiert?

Burkay: Es gab vor der PKK bereits Parteien und Organisationen, die sich für die Rechte der Kurden stark machten. Solche gibt es auch heute (wie etwa die HAK-PAR, Anm.), auch wenn die PKK diese als Konkurrenz gesehen hat und weiterhin sieht und versucht derlei autonome Organisationen zu behindern. Ein solches Verständnis ist typisch für Diktaturen, aber das kurdische Volk, das so lange für seine Freiheit gekämpft hat, muss sich in Richtung Freiheit und Demokratie bewegen.

derStandard.at: Das Geheimtreffen zwischen der türkischen Regierung und der PKK im norwegischen Oslo wurde publik und brachte nicht den erhofften Waffenstillstand, nun will der türkische Ministerpräsident dennoch eine zweite Runde in Oslo starten. Wie stehen die Chancen für eine Lösung?
Burkay: Ich sehe es als Notwendigkeit, dass die PKK die Waffen niederlegt und dass der türkische Staat wie auch die PKK direkt miteinander sprechen. Denn auch wenn es nicht zur endgültigen Lösung beiträgt, kann es doch ein Schritt in die richtige Richtung sein. Bis dato ließ noch jede türkische Regierung den nötigen Mut fehlen, um die Kurdenfrage mutig anzugehen - auch wenn die AKP gute Ansätze erkennen lässt, so ist ihr der Mut abhanden gekommen. Aber auch die PKK wurde und wird von gewissen inneren und äußeren Faktoren an einer konstruktiven Lösung gehindert. Staaten wie die Türkei, der Iran, Syrien oder eben der Irak haben ihre Möglichkeiten die PKK von innen zu lenken. Aus diesen Gründen war es bis dato nicht möglich eine Lösung zu erarbeiten.

derStandard.at: Viele Kurden wollen eine autonome Entität innerhalb der Türkei. Eine föderale bzw. bundesstaatliche Lösung wird auch von ihnen gefordert. Sind ethnisch versierte Bundesstaaten innerhalb eines Verbandes ein Schritt in die richtige Richtung?

Burkay: Föderale Staaten wie etwa die Vereinigten Staaten, die Schweiz oder Deutschland wären für mich erfolgreiche Beispiele für einen föderativen Ansatz in der Türkei. Denn auch wenn in föderativen Staatsverbänden wie etwa Kanada, Belgien oder Spanien Spannungen und Meinungsverschiedenheiten möglich sind, bleibt die Einheit dennoch bestehen. Föderative Staaten sind schließlich jene, in denen eben verschiedene Ethnien miteinander friedlich leben können, weil Zentralstaaten sich mit verschiedenen ethnischen Gruppen immer schwer getan haben und tun. Viele Kurden wollen eine solche Form der Autonomie.

derStandard.at: Was können kurdische Politiker wie sie oder der von der PKK entführte und wieder freigelassene Abgeordnete Hüseyin Aygün für eine konstruktive Lösung bewirken?

Burkay: Hüseyin Aygün ist ein vergleichsweise junger Politiker kurdischer Abstammung, der allerdings seine alevitische Konfessionszugehörigkeit in den Vordergrund rückt. Er hat insbesondere im kurdisch-alevitisch dominierten Tunceli (kurdisch: Dêrsim) großen Rückhalt und sitzt heute für die größte Oppositionspartei die kemalistische Volkspartei (CHP) im Parlament.

Ich fing ja viel früher an politisch tätig zu sein. Ich war von Anfang an im linken Lager beheimatet, und setzte mich für die kurdische Bewegung ein. In den 60ern arbeitete ich mit der Türkischen Arbeiterpartei (TIP) zusammen, die ja die erste dezidiert linke Partei im türkischen Parlament war und die Kurdenfrage als erste in die Öffentlichkeit gebracht hatte. Später hab ich die Sozialistische Partei-Kurdistan (PSK) gegründet und sie knapp 30 Jahre lang geführt und auch als ich nach dem 80er Putsch des türkischen Militärs nach Schweden fliehen musste, blieb ich politisch aktiv und bin es auch nach meiner Rückkehr im letzten Jahr.

Wir verkörpern also eine Haltung, die die PKK außen vorlässt und nur im Rahmen der Demokratie arbeitet.

derStandard.at: Hat sich die Haltung der Türken in Bezug auf die Kurden verändert und wie beurteilen sie die Aussage des Buchautors Atilgan Bayar, die Türken sollten nun etwas kurdischer werden, zumindest etwas Kurdisch lernen, Kurdische Musik kennen?

Burkay: Es gibt einen positiven Trend, das steht außer Zweifel. Man kann heute sagen, es gibt Kurden als eigenständiges Volk, man kann sich auch für eine föderale Lösung der Kurdenfrage einsetzen und muss nicht wie in den vergangenen Jahrzehnten Repressalien fürchten.

Ich denke, dass die bitteren Erfahrungen der Vergangenheit diesen Boden bereitet haben. Weder konnte der türkische Staat die kurdische Bewegung niederhalten, noch konnte die PKK mit Waffengewalt ihre Ziele verwirklichen. Ich denke, dass sowohl Türken wie auch Kurden nun „kriegsmüde" geworden sind. Leider hat die PKK gerade in dieser Phase ihre Angriffe intensiviert und damit wiederum eine Verhärtung der Fronten provoziert.

Ich habe das Buch von Atilgan Bayar zwar nicht gelesen, aber finde es sehr interessant. Denn all die Jahre hatte man versucht die Kurden zu turkisieren, ihre Existenz zu leugnen. Das traurige ist, es war unnötig. Wir müssen zusammen leben können, aber eben einander akzeptierend, auf Augenhöhe und in Frieden.

derStandard.at: Sie sagen, dass die Kurden unter dem feudal-patriarchalen System leiden, wie kann man die Clans und Feudalherren (Ağa-System) überwinden?

Burkay: Ich sagte schon immer, dass der politische Wettbewerb unter den Kurden niemals in Gewalt ausarten darf. Eine demokratische und zivilisierte Gesellschaft muss sich auf Gewaltfreiheit verstehen. Die Kurden durchlebten Jahrhunderte der feudalen Herrschaft und feudale Systeme sind gekennzeichnet von Gewalt und Zwang. Aber die kurdische Bevölkerung hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert, die Clans sind nicht mehr so stark wie früher, die Bauern haben mehr Freiräume von den Großgrundbesitzern und Feudalherren. Aber dieses feudale System und der Umstand, dass Gewalt und Zwang als etwas „Natürliches" präsentiert wird, ist dafür verantwortlich, dass sich bis heute Gewalt als politisches Mittel noch finden lässt. Dennoch bin ich guter Hoffnung, dass der Kampf der Kurden um ihre Grundrechte auch ein Kampf um Mündigkeit und Demokratie im Inneren sein wird. (Aksak Rusen Timur, derStandard.at, 15.10.2012)