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Das Ehepaar Kachelmann: ein kurioser Fall von "marriage-washing" bei einem Mann, der sich jahrzehntelang ganz offensichtlich nichts aus bürgerlicher Moral machte.

Foto: APA/epa/TIM BRAKEMEIER

Kachelmann gegen den deutschen Rechtsstaat: Im Blätterwald unseres nördlichen Nachbarlandes raschelt es gewaltig, seit der ehemalige Wettermoderator seine Wut über den – wohlgemerkt gewonnenen Gerichtsprozess wegen vorgeworfener Vergewaltigung in Form eines Buches veröffentlicht hat.

Talkrunde bei Jauch

Am Sonntagabend hatte das Ehepaar Kachelmann dann auch Gelegenheit, bei Günther Jauch über sein (Jörgs, Anm.) erfahrenes Leid als Opfer einer "Falschbeschuldigung“ zu berichten – umrahmt von drei weiteren Männern, die wechselweise die Rolle der Medien (via Ex-"Bild"-Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje) und des Justizsystems (Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum sowie Winfried Hassemer, ehemaliger Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtes) kommentieren sollten.

Geteilte Interpretationen

Die Wahrnehmungen dieser Talkshow gingen in den Medien anschließend weit auseinander – die Analyse reichte von "der PR-Versuch ging nach hinten los“ bis zu "Kachelmann musste sich trotz Freispruch beschimpfen lassen" – und zeigen einmal mehr den ideologischen Graben, der sich in der medialen Debatte um den Fall Kachelmann verfestigt hat.

Wo war der/die ExpertIn in Sachen Sexualstrafrecht?

Das Problem bei Jauchs Sendung war deutlich: es fehlte an Stimmen, die Kachelmanns haarsträubende Thesen vom "Opferabo der Frauen“ in Sachen Vergewaltigung mit ihrer eigenen Fachkenntnis entkräften konnten. Die anwesenden Männer versuchten dies mit mehr oder weniger vorhandenem Geschick, doch man merkte ihnen an, dass sie auf dem Gebiet des Sexualstrafrechts keine Experten sind.

Wenigstens einmal durfte eine Vertreterin einer Opferschutzeinrichtung in einem kurzen Einspieler darauf hinweisen, dass Kachelmanns Schilderungen jeglicher empirischer Grundlage entbehren. Dass Frauen in deutschen Gerichten "immer geglaubt" werde, könne keine Beratungseinrichtung bestätigen. Auf die wenigen Klägerinnen, die es bis vor Gericht schaffen, würden vor allem enorme psychische Belastungen warten.

Die Vertreter des Justizsystem erläuterten, dass die Verurteilungsquoten bei Vergewaltigungsverfahren deshalb so tief liegen (in Deutschland derzeit bei 12 Prozent), weil hier meist Aussage gegen Aussage stehe und das Gericht, wenn keine eindeutigen Beweise vorliegen, gar nicht anders könne, als "in dubio pro reo" zu entscheiden. Wie plausibel ist also Kachelmanns These, eine zunehmende Zahl von Frauen würde mit erfundenen Vergewaltigungsvorwürfen Männer drangsalieren, wenn die Erfolgsaussichten einer solchen Strategie so erbärmlich gering und die Unannehmlichkeiten für die Klägerinnen so hoch sind?

Schaden für die Opfer

Allein schon diese krude Idee zum Thema einer Talkshow zu machen, ist unseriös. Doch kaum eine/n wird es wundern, dass sich Herr Jauch mit seiner zweifelhaft besetzten Talkshow über eine hohe Quote mit durchschnittlich 5,29 Millionen ZuschauerInnen freuen konnte. Der Schaden aber, den Sendungen wie diese bei den vielen Opfern von sexueller Gewalt (das Ausmaß an nicht angezeigter Gewalt in diesem Bereich vermittelte jüngst erst wieder die Aktion #ichhabnichtangezeigt) verursachen, ist durchwegs zu beklagen.

Frau Kachelmann beteuerte inbrünstig, sie wolle jeden tatsächlichen Vergewaltiger hinter Gitter sehen. Um hier die Spreu vom Weizen zu trennen, müssen die selbsternannten ExpertInnen - Herr und Frau Kachelmann - wohl in Zukunft selber ran. Sie planen eine Stiftung, die den vielen "Opfern von Falschaussagen" finanziell beisteht und gleichzeitig auch den "wirklichen Vergewaltigungsopfern". Unter dem geschulten Auge von Herr und Frau Kachelmann wird es mit der deutschen Justiz also aufwärts gehen ... in der narzisstischen Traumwelt der Kachelmänner. (freu, dieStandard.at, 15.10.2012)